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KommDesign.de — Texte — Aufmerksamkeit (5)

Aufmerksamkeits-Sprachen

Aufmerksamkeits-Sprachen
Ein langweiliges aber funktionierendes Beispiel
Alles voll mit Neuigkeiten
Weniger - aber undeutlicher
Der kleine Unterschied: Es muss nicht immer dezent sein

 
   
Fassen wir die wichtigsten Schlussfolgerungen aus den vorangegangenen Artikeln noch einmal zusammen. 
 
Aufmerksamkeitsgesetze
  • Intensitätsgesetz: Intensive, "laute", große Reize ziehen die Aufmerksamkeit an. 
  • Ausnahmegesetz: Dinge, die sich von den anderen unterscheiden, ziehen die Aufmerksamkeit an.
  • Farbgesetze: Farben ziehen die Aufmerksamkeit an, besonders intensiv ist die Wirkung reiner, gesättigter, warmer Farben.
  • Dissonanzgesetz: Dinge, die ungewöhnlich und/oder widersprüchlich sind, ziehen die Aufmerksamkeit an.
  • Gewöhnungsgesetz: Die Aufmerksamkeitswirkung eines Reizes läßt nach, wenn er wiederholt wird.
  • Additivität: Einzelwirkungen, die sich aus den Gesetzen ableiten, wirken zusammen, addieren oder subtrahieren sich.

  • Design-Regeln

  • Was wichtig ist, sollte deutlich zu sehen sein.
  • Was wichtig ist, sollte im Vergleich zu unwichtigem hervorgehoben werden.
  • Es sollten nicht zu viele Dinge gleichzeitig hervorgehoben werden.
  • Es sollte nicht "Nichts" hervorgehoben werden.
  • Es sollten nicht mehrere Techniken zur Hervorhebung parallel verwendet werden, wenn dies nicht erforderlich ist.
 
 
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 Aufmerksamkeits-Sprachen

Im Umfeld eines Betriebssystems bzw. einer Plattform (Linux, Mac, Windows) haben sich Konventionen für die Aufmerksamkeitssteuerung herausgebildet, die jeder einigermassen erfahrene Benutzer kennt. Sie sind uns oft so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir sie bei der Bedienung einer Anwendung nicht mehr bewusst wahrnehmen - obwohl wir sie irgendwann lernen mussten. Ich möchte diese Konventionen, also die Prinzipien, nach welchen z.B. wichtige und unwichtige Informationen unterschieden oder aktive und inaktive Optionen markiert werden, als Aufmerksamkeits-Sprache bezeichnen. 

Was für Anwendungs-Software oder Betriebssysteme gilt, gilt natürlich auch für Websites. Jede Site muss sich deutlich und unmissverständlich ausdrücken, um allen Besuchern eine komfortable und sichere Bedienung zu ermöglichen. Im Unterschied zu Software kann der Betreiber einer Website allerdings nicht erwarten, dass das Publikum Willens ist, das Vokabular und die Syntax einer eigenen, ganz  speziellen Sprache zu trainieren. Eine "gute" Aufmerksamkeits-Sprache berücksichtigt deshalb die Gesetze für die Interpretation von Informationen, die uns angeboren sind. Unter dieser Voraussetzung ist eine Website intuitiv zu bedienen, es braucht keine Erklärungen. Ein wichtiges, aktives Element wird sich z.B. von den unwichtigen, nicht-aktiven Auswahlmöglichkeiten unterscheiden, es wird größer, farbig, kontrastreicher oder eventuell auch animiert sein. 

Einen Moment bitte! 

Animiert...? 

Hier beginnt die Sache schon kompliziert zu werden. Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass Internet-Benutzer eigene Sehgewohnheiten ausgebildet haben, die speziell für das Medium gelten und unsere natürliche Aufmerksamkeits-Sprache zumindest teilweise außer Kraft setzen. Die Gelehrten streiten sich noch, aber eines kann man mit einiger Sicherheit sagen: Besonders intensive Techniken der Aufmerksamkeitslenkung (Animationen, Blinken) sind im Web problematisch, da die Surfer gelernt haben, dass Animiertes und Blinkendes in aller Regel unwichtig ist. Wer sinnvoll gestalten will, muss also diese speziellen Gewohnheiten, die sich bei der Wahrnehmung von Informationen im Web ausbilden, kennen - und die Entwicklung im Auge behalten.   
 
 
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Ein langweiliges aber funktionierendes Beispiel

Zur Veranschaulichung und als erste Fingerübung in Sachen Analyse von Aufmerksamkeits-Sprachen möchte ich zunächst einmal eine typische Maske aus einer Windows-Anwendung genauer betrachten. Als Beispiel habe ich einmal - relativ wahllos - zwei Bildschirmmasken aus den Voreinstellungen für den Netscape Navigator 4.5 herausgegriffen. Hier der Anblick, der sich beim Aufrufen des Menüs "Sprache" bietet:

 

 

Das ist nicht gerade spektakulär, ich gebe es zu. Ich möchte mich deshalb auch gar nicht länger damit aufhalten, sondern zum Vergleich den Anblick zeigen, der sich bietet, nachdem die Wahlmöglichkeit "Deutsch [de]"  mit der Maus markiert wurde.

Das ist immer noch kein sensationeller Anblick. Einige Kleinigkeiten haben sich aber verändert: Durch das Markieren der Sprache wird nun die Option "Löschen" verfügbar, und auch das Blättern zwischen den vorgegebenen Sprachen ist nun mit Hilfe der Pfeil-Taste möglich. Das ist logisch, meinen Sie? Ich gebe Ihnen recht. Man sieht es "einfach". 

Welche Aufmerksamkeits-Sprache wird nun verwendet, um diese Veränderungen anzuzeigen? Die folgenden Abbildung zeigen die entscheidenden Details aus der Maske vor und nach dem Markieren der Sprach-Option.
Der Pfeil auf der unteren Taste wechselt das Aussehen von grau zu schwarz und der reliefartige Eindruck verschwindet. Der Kontrast zum Hintergrund wird höher. Hier wird also das Intensitätsgesetz verwendet, um "Anklickbarkeit der unteren Taste" zu signalisieren. 
Der Schriftzug "Löschen" auf der unteren Taste verändert sein Aussehen analog. Auch diese Taste ist nun anklickbar. Das Prinzip der Aufmerksamkeitslenkung ist analog zu den Pfeil-Tasten.
Die deutlichsten Veränderungen zeigen sich in der zentralen Sprachauswahl. Die gewählte Sprache wird mit einem dunklen (blauen) Balken hinterlegt, und sie ist farbig. Hier addieren sich also das Kontrast- und das Farbgesetz. Entsprechend ist die aktive Sprache das Element mit der höchsten Aufmerksamkeitswirkung.
In dieser Grafik wird die Aufmerksamkeits-Sprache der zentralen Maske noch einmal "zerlegt". Von oben nach unten sieht man die Wirkung von Farbe (ohne Kontrast), Kontrast (ohne Farbe) und schliesslich Kontrast plus Farbe. Ich möchte dabei der Einfachheit halber unberücksichtigt lassen, dass der Kontrast des schwarzen Balkens höher ist als der des dunkelblauen.
Aber genug der Windows-Langeweile. Werfen wir einmal einen Blick ins Web. Hier gibt es keine Standards, die mit denen der Windows-Welt vergleichbar wären. Jede Website muss also eine eigene Aufmerksamkeits-Sprache entwickeln - dies ist im übrigen einer der Gründe dafür, dass wir uns oft nur mit Mühe zurecht finden. Die folgenden Beispiele sollen verdeutlichen, was man dabei richtig oder falsch machen kann.

 
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Alles voll mit Neuigkeiten

Beim Design einer Startseite im Web muss jeder Betreiber zwei Probleme lösen: 

  • Neue Besucher müssen schnell erkennen, dass das Angebot keine Leiche ist, die hier seit Monaten vor sich hin gammelt. 
  • Um Stammkunden lästiges Stöbern zu ersparen, müssen sie schnell zu den neuen Inhalten geführt werden.

Dieser Ausschnitt aus der Startseite der Website "scriptsearch.com" zeigt, welche Probleme auftreten können, wenn man es dabei zu gut meint:


Der Betrachter muss zu dem Schluss kommen, dass hier sozusagen alles neu ist. Die Information "updated" konkurriert mit den "new" Icons (ist etwas, das upgedated wurde nicht neu...?). Die Farben werden zwar weiter oben auf der Seite in einer eigenen Legende erklärt...


...sie verteilen sich aber kunterbunt (im wahrsten Sinn des Wortes) über die Seite. Der Gesamteindruck ist verwirrend und zu komplex, eine verständliche Aufmerksamkeits-Sprache fehlt. Es geht ja nicht darum, eine Lösung zu finden, die "prinzipiell" funktioniert und für die Betreiber logisch ist, sondern Informationen so zu akzentuieren, dass die wichtigsten und interessantesten Inhalte schnell gefunden werden. Und so gerne man es als Betreiber oder Autor auch möchte: Das können nicht alle Inhalte sein!

Dies ist eine Hervorhebung, mit der wir problemlos zurecht kommen: In 7 Rubriken gibt es Neuigkeiten:


"Ende der Durchsage", könnte man jetzt schreiben, und in der Tat ist diese einfache Lösung, die eine überschaubare Zahl von Akzenten setzt, und das erforderliche in einer klaren visuellen Sprache ausdrückt, alles andere als spannend oder aufregend. So ist es meistens, wenn Dinge gut gestaltet sind. Wenn der Besucher einer Site sich sinngemäss etwa so äußert:

    "Aber Hallo! Hier ist ja jede Menge Neues, und obendrein alles schön bunt. Ich kann mich ja gar nicht entscheiden. Wohin klicke ich denn nun zuerst - und wohin dann?"

dann stimmt irgendetwas nicht.
 
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Weniger - aber undeutlicher

Zum Vergleich ein Angebot, das von der Menge der Informationen oder Auswahlmöglichkeiten, die als neu deklariert werden, bescheidener ausfällt, von der Aufmerksamkeits-Sprache aber trotzdem nicht optimal funktioniert. Es stammt aus der Website der Deutschen Post. In vier Rubriken gibt es dort Neuigkeiten bzw. vier Rubriken sind neu. Ganz klar wird das nicht, was schon wieder ein eigenes Thema wäre, die Gründe hierfür sollen uns im Moment aber nicht interessieren. 
 
Die Hervorhebung erfolgt durch das Wort "NEU" in weisser Schrift auf - postgelbem - Grund. Abgesehen vom Inhalt, also der Wortbedeutung "neu", wirkt also nur das Ausnahmegesetz: Einige Optionen sind mit einem Zusatz versehen, die anderen nicht. 

Wenn man hier Akzente setzen möchte, muss man allerdings schon etwas mehr tun, denn die Grundfarben des Menüs (schwarz auf gelb) fallen in den Bereich  biologische Signalfarben. Die visuelle Lautstärke ist also beachtlich und die Farben der "NEU"-Markierungen dringen durch dieses Getöse kaum hindurch.

Eine einfache Alternative wird hier links gezeigt. Der Kontrast der Hervorhebung ist verbessert, das gesättigte Rot hebt die Schlüsselwörter deutlich hervor. Folge: Die Aufmerksamkeits-Sprache wird verständlicher.

 
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Der kleine Unterschied: Es muss nicht immer dezent sein

Ästhetische Experimente mit Farben, Schattierungen und Formen sind im Hauptmenü einer Website unangebracht, denn sie gefährden die Prägnanz einer der wichtigsten Informationen, die es für die Besucher gibt. Die Menüleiste sollte also deutlich sichtbar, und die Optionen sollten gut leserlich sein. 
Beispielsweise haben auf der Website des "Fokus" die entscheidenden Informationen, nämlich die Namen der Themen bzw. Kategorien, den geringsten Aufmerksamkeitswert (Kontrastgesetz). Man mag argumentieren, dass die Grösse der Schriftzüge dies ausgleicht, und dass es schön aussieht. Trotzdem: Unserem Auge leuchtet es nicht ein, warum ein dunkelgrau auf hellgrau gesetzter Schriftzug wichtiger sein soll als die signalrot gefärbten Dreiecke (die ja eigentlich funktionslos sind). Die Aufmerksamkeits-Sprache dieses Menüs entspricht nicht unseren Sehgewohnheiten.
Dieses Bild ergibt sich, wenn man die Sache umkehrt und die Schrift rot einfärbt. Der Kontrast ist verbessert, die gesättigte warme Farbe sorgt für eine zusätzliche Hervorhebung. Intensitäts- (Größe, Kontrast) und Farb-Effekte addieren sich nun. Das ist besser, aber immer noch nicht optimal.
Erinnern Sie sich an die Regel von Edward Tufte aus dem vorigen Artikel? Er meint, große Elemente sollten monochrom (schwarz-weiss) oder in Pastellfarben, kleine Elemente sollten intensiv farbig gestaltet werden. Wenn Sie mich fragen: Er hat Recht. Das Beispiel auf der linken Seite folgt dieser Regel, und es ist von den drei Alternativen eindeutig die beste. Der Unterschied zum Ausgangsdesign besteht lediglich darin, dass der Kontrast der Schriftzüge verbessert wurde.

Wenn man sich mit etwas geschärftem Blick durchs Web bewegt, findet man solche Sünden in der Aufmerksamkeitssteuerung auf vielen Websites. Eines der Hauptmenüs auf der Website der Comdirekt Bank befindet sich z.B. auf einem fast aussichtslosen Posten

 



Sehen Sie die kleinen Links am obersten Rand der Grafik? Ich gratuliere! Dazu muss man sagen, dass sie noch viel schwerer zu erkennen sind, wenn man die ganze Startseite im Browser betrachtet. Und was ist das Problem? Natürlich funktioniert die Aufmerksamkeits-Sprache nicht. Die wichtigsten Faktoren:

  • Die sehr kleine Schrift mit schlechtem Kontrast.
  • Die Platzierung am obersten Bildschirmrand.
  • Die Nähe zu dem schwarz-gelb blinkenden (also extrem auffälligen) Banner.

Zur Veranschaulichung sind im folgenden Screenshot zwei Probleme ausgeräumt: Die Schrift hat einen optimalen Kontrast und die Position des Menüs ist unter das gelbe Banner gerückt.

 

 
Die Gestaltung ist immer noch nicht optimal, vor allem die Schrift ist nach wie vor zu klein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer Besucher das Menü in dieser Variante entdeckt, ist aber bereits jetzt um ein Vielfaches höher als in der Original-Lösung.  
 
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Aufmerksamkeit (4): AufmerksamkeitsgesetzeAufmerksamkeit (6): Text-Layout

 
© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
zuletzt ergänzt am 09.10.2002

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