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KommDesign.de Texte Gedächtnis
Die magische Zahl 7 und die Gedächtnisspanne
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Unser mentaler Arbeitsspeicher und die Gedächtnisspanne
Ein Klassiker: Die magische Zahl 7
Die magische 7 im Internet: praktische Konsequenzen
In der Realität: 7 Chunks?
Schlussfolgerungen Grundlagenforschung
und Realität
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Im Internet ist viel von Informationsüberflutung
die Rede, und wie wir alle wissen, hat das hat seine guten Gründe.
Zu fast jedem Thema gibt es Dutzende von Seiten mit Hunderten
von Links und Menüs, die vor einigermaßen schwammigen
Ein-Wort-Auswahlmöglichkeiten wimmeln. Es gibt Portal-Seiten,
die mit Links und Texten in Mikroschrift vollgestopft sind - kurz:
wir haben Kapazitätsprobleme. Besser gesagt: Unser Kurzzeitgedächtnis,
also der Arbeitsspeicher unseres Bewusstseins, hat Kapazitätsprobleme. |
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Unser
mentaler Arbeitsspeicher und die Gedächtnisspanne
Nun ist eben dies - die eingeschränkte Aufnahmefähigkeit
unseres Kurzzeitgedächtnisses - eines der best untersuchten
Phänomene der Gedächtnispsychologie. Schon in den 50er
Jahren gab es experimentelle Studien, die versuchten, den Umfang
der sogenannten Gedächtnisspanne zu bestimmen. Dies ist die
Menge an Information (beispielsweise Zahlen), die wir uns für
einige Sekunden merken können, und zwar ohne speziell zu
memorieren, z.B. indem wir sie uns leise vorsprechen und wiederholen.
Das kurzfristige Merken einer Telefonnummer ist ein Beispiel hierfür.
Eine Telefonnummer lautet: 8 9 0 4 6 5, und Sie, liebe/r Leser/in,
könnten sich diese jetzt ohne Weiteres merken, zum Telefon
gehen, und wählen (aber bitte nicht ausprobieren!). Die 6
Zahlen "passen" also in Ihre Gedächtnisspanne bzw.
Ihr Kurzzeitgedächtnis. Ihr mentaler Arbeitsspeicher - um
die Analogie zum Computer noch einmal zu bemühen - nimmt
die Zahlen auf, und es geht nichts verloren.
Die Größe eben dieses Arbeitsspeichers ist nun natürlich
ein entscheidender Faktor, wenn man bewerten möchte, ob die
Menge an zu verarbeitender oder zu merkender Information bewältigt
werden kann - das ist bei Menschen nicht anders als bei Computern.
Ein PC der historischen Baureihe 80286 würde sich bei dem
Versuch, Windows 2000 zu starten wohl ähnlich kompetent fühlen
wie manche Internet-Benutzer beim Anblick einer Hitliste mit 354
Treffern, die ihnen von einer hilfsbereiten Volltext-Suchmaschine
angeliefert wird.
Wie könnte man aber herausfinden, wie viele Informationen
ein Mensch im Durchschnitt in seinem Kurzzeitgedächtnis aufnehmen
kann? Machen wir ein Gedankenexperiment: Wir lesen einer Gruppe
von Versuchspersonen Zahlenreihen vor, zuerst zwei Zahlen, dann
drei, dann vier usw., Nach jeder Reihe unterbrechen wir, und unsere
Versuchsobjekte haben die Aufgabe, sie unmittelbar aus dem Gedächtnis
in umgekehrter Reihenfolge zu notieren. (Eine aufregende Erfahrung.)
Die Notizen werden eingesammelt und wir zählen aus, wie viele
Ziffern fehlen oder falsch sind. Die Menge, bei der die Versuchspersonen
beginnen, Ziffern zu vergessen oder Fehler zu machen, markiert
die Grenze der Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses.
Diese wird nicht 100% exakt sein, aber durch Auszählen und
die Bildung von Mittelwerten könnten wir zu einem einigermaßen
exakten Ergebnis kommen.
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Ein Klassiker:
Die magische Zahl 7
Das war ein einfaches Prinzip, und in den 40er-50er Jahren des
20. Jahrhunderts wurden viele ähnliche Experimente gemacht.
1956 veröffentlichte dann ein Herr Miller seinen berühmten
Artikel mit dem Titel...
"The Magical Number 7, Plus
or Minus Two: Some Limits on Our Capacity for Processing Information"
Psychological Review, 1956, Band 63, Seite
81-97.
...in dem er die Ergebnisse all dieser Studien zusammenfasste und
verglich. Sein Fazit: Die Gedächtnisspanne hat einen Umfang
von 7 plus/minus 2 "Chunks".
Was ein "Chunk" ist? Das kann man am besten anhand eines Beispiels
demonstrieren. Nehmen wir an, wir lesen unseren Versuchspersonen
noch einmal einzelne Buchstabenreihen mit variierender Länge
vor, also z.B.
W R E
J L O R
F L P A N
P O G L F E
Q I V S T Z I
S M U A Z N E M
K M I L P S Q S T
I Z L P D F N E O L
Dann werden wir wieder feststellen: Irgendwann werden sie unsicher
und können nicht mehr alle Buchstaben richtig reproduzieren.
Das wird etwa bei
S M U A Z N E M
der Fall sein, hier sind es 8 Buchstaben, die behalten werden
müssen.
Wir schlussfolgern: der Mensch kann eine Folge von 7 Buchstaben
fehlerfrei im Kurzzeitgedächtnis speichern. Mit der 7 hatte
Miller also recht, wo aber sind die Chunks? Nun ein kleiner Trick.
Ich ordne die 8 Buchstaben, die uns eben noch überfordert
haben, einfach anders an:
Z U S A M M E N
und schon ist es überhaupt kein Problem, sie sich zu merken.
Was ist geschehen? Wir haben aus unzusammenhängenden Einzelinformationen
(Buchstaben) eine einzelne Information "höherer Ordnung"
(das Wort) gebildet. Diesen Vorgang nennt man "Chunking",
und der Begriff "Chunk" bezeichnet also eine Informationseinheit,
die mehrere Elemente zu einer einzelnen Bedeutung zusammenfasst.
Miller machte also darauf aufmerksam - und er belegte dies anhand
der wissenschaftlichen Literatur - dass man sich nicht sieben
Zahlen oder Buchstaben oder Wörter, sondern eben sieben "Chunks"
merken kann. Wenn man von Kapazität spricht, muss man also
vom Inhalt abstrahieren. Von einer Gedächtnisspanne für
Zahlen oder Buchstaben zu reden ist - das hat unser Experiment
gerade gezeigt - nicht unbedingt sinnvoll.
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Um dies noch einmal zu verdeutlichen man kann sich 7 relativ
einfache Wörter genauso gut merken wie 7 Buchstaben, also
KLEIN BAUM HOCH KATZE SITZEN SCHWARZ
HAUS
Nicht sonderlich originell, aber man erkennt das Prinzip recht
gut. Die 7 Chunks (hier also Wörter) enthalten 35 Buchstaben,
die wir uns als unzusammenhängende Einzelinformationen niemals
merken könnten. Und - Sie werden es vielleicht geahnt haben
- wir können schon wieder einen "Chunk" bilden,
nämlich einen Satz:
(DIE) SCHWARZE KATZE SITZT (AUF DEM)
HOHEN BAUM (VORM) HAUS.
Irgendwo stößt man beim Chunking natürlich an
eine Grenze, man kann sich nicht mehr sieben Sätze, sieben
Geschichten und sieben Bücher merken (schön wär's).
Trotzdem: Chunking ist eine der effektivsten Strategien, die unser
Gehirn entwickelt hat, um sich größere Informationsmengen
komprimiert merken zu können. Ohne diese Technik wären
wir mit einem winzigen Speicherlein, das nicht mehr als sieben
Buchstaben oder Zahlen fassen kann, auf verlorenem Posten. Dabei
ist Chunking eine intelligente Leistung, also alles andere als
ein mechanischer Vorgang. Das Komprimieren von reinen Daten zu
etwas "mit Sinn" setzt ja Wissen über Bedeutungen und die
Fertigkeit zur Verknüpfung von Informationen voraus.
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Die magische
7 im Internet: praktische Konsequenzen
All dies ist nun nicht sonderlich aufregend, aber zumindest
schön eindeutig (was in der Psychologie leider allzu selten
der Fall ist). Und Millers magische Zahl 7 gehört denn auch
zu den bekanntesten und sichersten Erkenntnissen, welche die Gedächtnispsychologie
zu bieten hat. Sie ist auch von hoher praktischer Bedeutung, denn
natürlich wird z.B. ein Besucher, auf einer Website mit 3
Menüs, die jeweils 22 Auswahlmöglichkeiten enthalten,
nicht sonderlich gut bedient: Sie passen nicht gleichzeitig in
sein Kurzzeitgedächtnis, um dort verglichen oder bewertet
zu werden. Probleme entstehen dabei vor allem dann, wenn Informationen
so umfangreich sind, dass sie nicht mehr auf einen Blick angezeigt
werden können. Dann müssen wir mit unserer Aufmerksamkeit
mehrfach hin- und herschalten, Informationen zwischenspeichern,
mit anderen abgleichen usw. Was gleichzeitig zu sehen ist, muss
andererseits nicht vollständig an unsere Kapazitätslimits
angepaßt sein - der Bildschirm kann ein externes Kurzzeitgedächtnis
sein. Für eine ergonomische Seitengestaltung ist die räumliche
Verteilung von Information also entscheidend: Was verglichen oder
in anderer Weise gleichzeitig verarbeitet werden muß, sollte
so gruppiert werden, dass man es auf einen Blick erfassen kann.
Wer sich von einer Hypertext-Seite zur nächsten klickt,
wird allerdings - das legt das Gesetz nahe - nur etwa 7 Informationen
"mitnehmen". Da wird beim Klicken durch Dutzende von
Seiten nahezu alles komplett vergessen, was nicht besonders intensiv
gelesen oder beachtet wird. Natürlich wird nicht wirklich
alles vergessen. Die Gedächtnisspanne ist ja als die Informationsmenge
definiert, die wir uns ohne besondere Anstrengung und für
einen kurzen Zeitraum merken können. Es ist kein Problem,
12, 13 oder auch 240 Wörter zu lernen, wenn man die Zeit
dafür hat und sich entsprechend anstrengt - wobei die wenigsten
Websurfer/innen hierfür bereit sein werden. Dies ist dann
allerdings keine reine Leistung des Kurzzeitgedächtnisses
mehr, denn Informationen, die wir lernen, werden ins Langzeitgedächtnis
eingespeichert.
Wenn Chunking (das Zusammenziehen einzelner Informationselemente
zu Sinneinheiten) wirklich eine Vervielfachung der Verarbeitungskapazität
zur Folge hat, ist es dann nicht eine sinnvolle Strategie, übergeordnete
Sinneinheiten auch sichtbar zu machen? Das ist es in der Tat,
wie das folgende Beispiel zeigt:
ungeordnet |
geordnet |
Kontaktformular |
Kontaktformular |
Dienstleistungen |
E-Mail |
E-Mail |
Feedback-Fragebogen |
Unternehmensgeschichte |
Produktneuheiten |
Produktneuheiten |
alphabetisches Produktverzeichnis |
Feedback-Fragebogen |
Bestellung |
Kunden / Referenzen |
Kunden / Referenzen |
alphabetisches Produktverzeichnis |
Dienstleistungen |
Bestellung |
Unternehmensgeschichte |
In der ungeordneten Liste sind die Informationen
so präsentiert, dass man die übergeordneten Kategorien
(Chunks) nicht ohne weiteres erkennt. Das Kurzzeitgedächtnis
wird überfordert. In der geordneten Liste müssen wir
dagegen nur 3 Chunks lernen, nämlich "Kontaktwege" (gelb),
"Produkte" (rosa), "Firmeninformationen" (hellblau), und können
die 9 Links diesem System unterordnen.
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In
der Realität: 7 Chunks?
Millers magische Zahl ist nicht nur in der Psychologie prominent.
Sie ist eines der wenigen Ergebnisse der Grundlagenforschung,
die Einzug in die Praxis gehalten haben. Jeder, der einen Kurs
in Screen-Design belegt hat, kennt es: "Wie viel Informationen
kann ein Mensch im Kurzzeitgedächtnis behalten?" - "Sieben."
Na klar! Aber, leider, leider: Es ist falsch, oder sagen wir besser:
unvollständig und eine kühne Behauptung. Dies betrifft
nicht den Vorgang des Chunkens und auch nicht die grundsätzliche
Gültigkeit der Methoden, die zur Bestimmung der Gedächtnisspanne
eingesetzt wurden (und werden). Wenn man sie so definiert und
untersucht umfaßt sie auch tatsächlich 7 Einheiten.
Das Problem ist ein völlig anderes:
Die Realität.
Machen wir noch einmal unser Gedankenexperiment. Diesmal beobachten
aber eine spezielle Person - nennen wir sie Frau G. - um den Umfang
ihrer Gedächtnisspanne zu prüfen. Aber halt! Nicht im
Labor, sondern unter Kampfbedingungen, in der rauhen Wirklichkeit.
Und hier hat Frau G. Besseres zu tun, als sich Zahlen oder Buchstaben
oder Chunks zu merken. Sie hat Ziele, und ein Ziel im Gedächtnis
zu behalten, das kostet schon einen der kostbaren Speicherplätze.
7 Labor-Chunks nach Miller minus ein
Ziel = 6 |
Ziele sind aber in den wenigsten Fällen
einfach und eindimensional, sie sind oft nur zu erreichen, wenn
ineinander geschachtelte Zwischenziele definiert und abgearbeitet
werden.
6 Chunks minus 1 (Zwischenziel) = 5 |
Die Versuchspersonen in psychologischen
Labors, (dort, wo die Experimente gemacht werden), sind in der
Regel motiviert. Sie möchten sich die Information
vorsätzlich merken und dies sogar möglichst gut. Frau
G. möchte weder das eine noch das andere, und das ist ihr
gutes Recht. Also:
5 Chunks minus 1 (geringe Motivation)
= 4 |
Wir sind noch nicht am Ende: Schlechte
Laune wirkt sich erwiesenermaßen negativ auf das
Kurzzeitgedächtnis aus (gute Laune übrigens auch). Frau
G. wurde gestern wieder von diesem Widerling - ihrem Chef - gemobbt,
und das liegt ihr jetzt noch auf der Seele.
4 Chunks minus 1 (schlechte Laune)
= 3 |
Und der halbwüchsige Sohn von Nachbars
hat die Stereoanlage wieder voll aufgedreht. Techno! Das ist ja
die reinste Lärmbelästigung!
3 Chunks minus 1 (lärmbedingter
Stress) = 2 |
Jetzt ist es aber auch wirklich schon spät
geworden, Frau G. ist müde:
2 Chunks minus 1 (Müdigkeit)
= 1 |
Und dann nimmt sie immer ihren Schlummertrunk
(Kirschlikör, 40% Alkohol)
1 Chunk minus 1 (Alkoholeinfluss)
= 0 |
Nun haben wir also den Punkt erreicht, an dem
Frau G. aufhören muss, sich mit unseren schönen Internet-Seiten
zu beschäftigen, denn ihre 7 Chunks umfassende Informationsverarbeitungskapazität
ist auf Null.
Aber es geht noch weiter, denn - hatte
ich das noch nicht erwähnt? - Frau G. steht kurz vor Ihrer
Pensionierung.
0 Chunk minus 1 (höheres Lebensalter)
= -1 |
Wir erreichen jetzt die Zone, in der Frau
G. anscheinend nach der Darbietung der Information, die sie sich
merken soll, weniger weiß als zuvor. Und - ich sage es jetzt
geradeheraus und unverblümt -, sie war auch eigentlich noch
nie sehr helle.
0 Chunk minus 1 (geringe Intelligenz)
= -2 |
Jetzt haben wir also auch noch das Ziel und das
Zwischenziel von weiter oben gelöscht, und das sollte nun
aber wirklich genügen.
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Schlussfolgerungen
Wir sehen also, wie Millers magische Zahl 7 zusammenschmilzt,
wenn man einige der Faktoren in Betracht zieht, die den Alltag
von einer Laborsituation unterscheiden. Und dieses gilt ganz allgemein:
Immer wenn Leistungen in standardisierten Bedingungen mit hochmotivierten
Versuchspersonen gemessen werden, erhält man Ergebnisse,
die "zu gut" sind - so als ob man die Geschwindigkeit mit der
Menschen im Alltag gehen (im Regen, mit Plastiktüten beladen
etc.), im Stadion messen wollte. Deshalb ist die 7er-Regel nicht
grundsätzlich falsch, nur: Aus der Perspektive der Benutzer/innen
im Internet gibt sie kein Optimum, sondern ein Maximum
an. Wenn man einen Wert von 3-5 Einheiten für den Umfang
der Gedächtnisspanne annimmt, liegt man näher an den
realen Verhältnissen. Das ist lächerlich wenig, wenn
man z.B. 200-300 Internet-Seiten verpacken und verlinken muss,
aber wir haben weiter oben gesehen, dass man z.B. durch eine intelligente
Anordnung von relevanten Informationen hiergegen etwas tun kann.
Aber: Gibt es denn überhaupt ein Optimum? Ja. Das
Optimum, das man bei der Präsentation von Informationen für
das Kurzzeitgedächtnis erreichen kann ist 1. Mit anderen
Worten: Optimal ist, wenn genau die eine Information angezeigt
wird, die den Zielen der Besucher/innen am nächsten kommt
oder - das kann genauso wichtig sein - eine Information, die deutlich
macht, dass man ein aktuelles Ziel nicht erreichen kann. Dieses
Thema (Handlungen, erreichte und nicht erreichte Ziele beim Surfen)
wird im nächsten Artikel der KommDesign.de Text-Rubrik behandelt.
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