Man kann das Problem aber noch anders sehen: Verpackung ist alles,
was nicht zur Funktion beiträgt, also all das, was die Benutzer
wegwerfen könnten, ohne hierdurch in der Nutzung des Produkts
eingeschränkt zu werden. Diese Definition lenkt die Aufmerksamkeit
auf einen wichtigen Aspekt, nämlich das Verhältnis von
Verpackung und Produkt. Niemand käme auf den Gedanken, WC-Reiniger
in einem gravierten Bleikristallgefäß zu verkaufen. Von
der mangelhaften Funktionalität einer Glasflasche abgesehen,
wäre die Verpackung im Verhältnis zum Produkt viel zu
pompös, zu teuer - und natürlich unpassend. Umgekehrt
wäre ein tristes braunes Papiertütchen nicht die geeignete
Verpackung für einen edlen Füllfederhalter. (Die schlichten
"understatement" Verpackungen, die gelegentlich für besonders
exquisite Dinge verwendet werden, seien hier außer Acht gelassen.)
Auch das Vorhaben, Tütensuppen in großen Versandkartons
mit reichlich Holzwolle oder Styroporchips zu verpacken ist - vorsichtig
ausgedrückt - abwegig. Hier liegt das Mißverhältnis
einfach im Volumen: gigantische Verpackung für wenig Inhalt.
So gesehen findet man im WWW eben nicht selten genau dies: protzige
Verpackungen mit wenig Inhalt. Raffinierte Animationen, Tasten,
die wie poliertes Wurzelholz schimmern oder Hintergrundgrafiken,
die eine Oberfläche aus Carrara-Marmor andeuten, können
allerdings von einem mangelnden Nutzen nur kurz ablenken. Man
kann es auch einfacher sagen: Dinge, die gut aussehen oder
aufwendig und chic verpackt sind, sind alleine deshalb noch nicht
gut.
Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Kaufsituation
im Web und beispielsweise im Supermarkt: Es gibt keine Verkäufer,
die wir fragen könnten. Die Verpackung muß ganz für
sich alleine funktionieren. Wenn sie es nicht tut, versucht der/die
irritierte oder genervte Kund/in sein Glück eben stillschweigend
bei der Konkurrenz. Besonders brisant ist dies, weil im Web die
Verpackung (das Screen-Design, Animationen, Icons, Grafik, Layout)
eben allzuoft oft im Vordergrund steht, wenn über Qualität
gesprochen wird. Das Dogma ist: "Es muß cool aussehen !",
und wenn Websites um- oder neugestaltet werden, geht es dann auch
überwiegend um die Frage: "Sieht es denn jetzt auch bestimmt
cooler aus ?". Wenn diese von allen Beteiligten bejaht wird, ist
man mit dem Ergebnis zufrieden - so hat es zumindest den Anschein.
Nun geht es bei der Herstellung alltäglicher Dinge zwar
auch um neue Verpackungen, die eigentliche Innovation steckt aber
immer im Produkt selbst. So abgedroschen der Slogan vom "Weißmacher
mehr" ist: er signalisiert eine Verbesserung des Produkts.
Hingegen sind Slogans wie "Jetzt mit noch bunterem Etikett !"
oder "Jetzt in herrlich knisternder Klarsichtfolie eingeschweißt
!" idiotisch. Eine gute - oder bessere - Verpackung ist nur in
den seltensten Fällen ein wirksames Verkaufsargument.
|