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Outlook, I love you! |
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Wir alle wissen, dass
der Virus "I love you" Milliardenschäden in den Datennetzen
angerichtet hat. Auch die Ursache ist - zumindest in erster Näherung
klar: Outlook-Benutzer/innen öffneten unvorsichtigerweise eine
Datei, die an einer E-Mail angehängt war, und beglückten
so nicht nur ihren Rechner mit einer kleinen - hmm - "Überarbeitung"
seines Betriebssystems, sondern auch Freunde, Kunden, Kollegen und
Bekannte mit einem Liebesbrief, den einige von diesen öffneten,
so dass - na ja, die Geschichte ist ja bekannt. Und Schuld an der
Misere waren die Newbies, Anfänger und Dummköpfe, die
auf die Mine traten, obwohl doch jeder weiß, dass man nicht
auf Minen tritt, weil das nämlich gefährlich ist. Also:
selbst Schuld - oder?
Natürlich ist das nicht ganz falsch. Wer E-Mails empfängt
und sendet, sollte sich darüber im klaren sein, dass da schlimme
Dinge anhängseln können und sich entsprechend vorsichtig
verhalten. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Nicht ganz
unschuldig war auch die Systemmeldung, mit der Microsoft Outlook
auf die Gefahren eines Virenbefalls beim Öffnen von Dateianhängen
aufmerksam macht. Die ist nämlich nicht gerade geeignet,
Fehler zu verhindern - um es milde auszudrücken. In diesem
Beitrag möchte ich mich also mit zwei Fragen beschäftigen,
nämlich erstens: Wie konnte es überhaupt zu der Katastrophe
kommen? Und zweitens: Hätte der Schaden durch ein anderes
Design des Dialogs zwischen Outlook und den Benutzer/innen begrenzt
werden können?
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Routine
und Automatisierung
Wenn man nach den Ursachen für die "I love you"-Misere fragt,
besteht ein erstes Problem darin, dass unsere Denk-, Wahrnehmungs-,
Handlungssteuerung dazu neigt, einfache und häufig wiederholte
Handlungen zu automatisieren. Wenn ein Vorgang einmal automatisiert
ist, werden Kontrollmechanismen, Unterbrechungsroutinen, Reflexion
und kritischer Verstand weggeschaltet und die freiwerdende Kapazität
auf andere Dinge gerichtet. Das ist das Wesen und der Nutzen der
Automatisierung - und eben auch ihr Risiko. Unser Handeln folgt
also einer einfachen Maxime: Der Aufwand, die eine (gefährliche)
Ausnahme unter den 100.000 regelrechten (harmlosen) Fällen
zu erkennen, rechtfertigt statistisch gesehen nicht den Nutzen
(Zeitersparnis, Einsparung von Ressourcen etc.), der durch Automatisierung
entsteht. So sind wir konstruiert, und Fehler entstehen dadurch,
dass wir beim 100.001ten Mal, wenn alles anscheinend wie immer
zu sein scheint, auch nur nach Schema-F reagieren können.
Wer sich also auf seiner täglichen Fahrtstrecke zum Arbeitsplatz
daran gewöhnt hat, dass eine Ampel auf grün geschaltet
ist, bemerkt den Polizisten (der heute ausnahmsweise den Verkehr
regelt) erst dann, wenn er auf der Fronthaube aufschlägt
- Huch?
Dieser Faktor hat bei "I love you" mit Sicherheit eine Rolle
gespielt. Als einigermaßen aktive/r E-Mail Benutzer/in öffnet
man täglich Dateianlagen, und in 10.000 Fällen geht
es gut. Da bleibt es nicht aus, dass das hinderliche Zögern
und die Angst vor Viren zugunsten des schnellen ökonomischen
Arbeitens ausgeschaltet wird.
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Risikowahrnehmung
und -blindheit
Was für die Handlung gilt, gilt auch für die Wahrnehmung.
Ein/e Windows-Benutzer/in sieht Dialog-Fenster, die mit gelben
Warndreiecken garniert sind, tagtäglich in verschiedenen
Varianten, meist brabbeln sie unverständliches Zeug und müssen
möglichst schnell weggeklickt werden, wenn man seine Arbeit
weiter verfolgen möchte. Nun gilt aber: Eine Meldung, die
vertraut ist, kann aber kein besonderes Ereignis oder Risiko kommunizieren,
denn
Vertrautheit und Wiederholung signalisieren
uns Sicherheit
Auch das ist biologisch programmierte Lebenserfahrung, die man
mit einer System-Meldung nicht so leicht aushebeln kann (zumindest
nicht mir derjenigen, die in Outlook erscheint).
Aus der Forschung zur Risikowahrnehmung ist noch ein Weiteres
bekannt: Menschen unterschätzen Risiken konstant, chronisch
und gewohnheitsmäßig. Selbst wenn sie um ein Risiko
sehr genau wissen, eventuell eine hohe Eintretenswahrscheinlichkeit
kennen, unterschätzen sie es fast immer dramatisch in
bezug auf die eigene Person. Anders wäre wohl kaum zu
erklären, dass es helmlose Motorradfahrer/innen (tödliche
Unfälle), Crack-Raucher/innen (irreversible Hirnschäden)
Diskotheken mit 145 DB Schallpegel und Gästen (Hörverlust)
oder auch Roulettespieler (Pleite) gibt. Worauf dieser Mechanismus
zurückgeht ist unklar, eventuell hat er eine Abwehrfunktion,
d.h. er dient zur Vermeidung von Angst oder Unsicherheit. Immerhin:
er ist in den verschiedensten Studien mit ganz unterschiedlichen
Risikofaktoren immer und immer wieder gefunden worden. Erst dann,
wenn man einmal die Folgen riskanten Verhaltens erlebt hat, dämmert's
- wobei es dann aber meistens zu spät ist.
Für unser Beispiel bedeutet dies also, dass man annehmen
kann, dass ein/e durchschnittliche/r Benutzer/in von der stillschweigenden
Voraussetzung ausgeht, es werde schon nichts geschehen.
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Das Wissensvakuum
beim Benutzer
Nun kommen wir zu einem sehr wesentlichen Punkt: Wer (außer
den Profis) weiß denn eigentlich mit Sicherheit zu sagen,
welche Dateien gefährlich sind und welche nicht? Wer die
Extension "vbs" nicht kannte, konnte z.B. das Risiko bei "I love
you" gar nicht sicher erkennen. Dass gängige Office-Formate
wie "doc" ebenfalls ausführbaren Code in Form von Makros
enthalten können, wissen 90% der Endverbraucher ebenfalls
nicht. Wer also nicht nach der Maxime handelt: Grundsätzlich
alles gleich wegschmeißen, was nicht wirklich zu 100% bekannt
und sicher ist, tappt früher oder später einfach aufgrund
von mangelndem Wissen in die Falle.
Hinzu kommt, dass die Datei eine tückische Doppel-Extension
hatte: "i-love-you.txt.vbs". Dateien mit der Extension
"txt" werden im Text-Editor geöffnet und enthalten
keinen Programmcode. Sie können also - soweit ich informiert
bin - eigentlich keine Viren verbreiten, die sich dann über
E-Mail fortpflanzen. Erst die zweite Extension steht für
eine ausführbare Datei "Visual Basic Script", und
die Tücke liegt darin, dass man beim schnellen Lesen dazu
verführt werden kann, diese zu übersehen - mit den bekannten
Folgen...
Zusammenfassend haben wir von typischen Benutzer/innen jetzt
folgendes Bild gezeichnet. Sie...
haben eine reduzierte Aufmerksamkeit
für die Systemmeldung,
neigen dazu, automatisch zu reagieren,
fühlen sich relativ sicher und
haben nur vage Vorstellungen von den
Zusammenhängen.
Die Gestaltung einer Systemmeldung muss dem eigentlich
Rechnung tragen, vor allem dann, wenn sie das unbekümmerte
Öffnen von Dateianlagen verhindern soll - und das ist eigentlich
ihre Pflicht.
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Der
erste Eindruck
Wenn man die in Outlook angebotene Lösung mit
den bis jetzt zusammengetragenen Fakten und Argumenten im Hinterkopf
betrachtet, muss man zu dem Schluss kommen: Sie ist alles andere
als gelungen. Sie mag meinetwegen mit dem Windows-Styleguide konform
sein, für die Risikokommunikation und Aufklärung der
Benutzer/innen ist sie jedoch ein völliger Rohrkrepierer.
Es beginnt schon damit, dass die gesamte Meldung
zwischen den Zeilen auf das direkte Öffnen hin ausgerichtet
ist.
Man sieht: In der Fensterüberschrift steht
"Öffnen der Nachrichtenanlage", wobei das Wort
Nachrichtenanlage weiter unten im Fenster nicht mehr erwähnt
wird, dann heißt es "Datei". Auch die Meldung
neben dem Warnschild heißt "Wird geöffnet"
und nicht
- "wird gespeichert und auf Viren untersucht",
- "wird misstrauisch beäugt" oder gar
- "wird im Zweifelsfall gelöscht".
Wenn meine Handlung mit der Überschrift konsistent
sein soll, müsste ich den Anhang also öffnen. Die ganz
wesentliche und im Fall von "I love you" rettende Alternative,
nämlich Löschen wird in dem zentralen Dialogfenster
überhaupt nicht angezeigt, sie wird sogar nicht einmal erwähnt,
so als sei das nicht im Bereich des Möglichen. Danke für
die vollständige Information!
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Und der Text?
Wer das lesen will, muss schon ziemlich interessiert
sein, denn es ist schlicht und einfach schwer zu entziffern. Eine
solche Mikro-Schrift signalisiert:
"Überlege Dir gut, ob Du
mich wirklich lesen wirst, das wird nämlich eine anstrengende
Sache, das kann ich dir versprechen. Und außerdem
bin ich ziemlich unwichtig, sonst wäre ich doch nicht
so klein, oder?
Konsequenterweise
müßte die Schrift noch hellgrau sein, dann wäre
die Tarnung perfekt.
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Risikokommunikation
ohne Risiko?
Es ist nicht auszuschließen...", meint Outlook zu
Beginn seiner hilfreichen Meldung. "Nicht auszuschließen"?
Das ist aber eine sehr milde und verklausulierte Form, ein handfestes
Risiko zu bezeichnen. Microsoft hat hier wahrscheinlich eine lästige
Pflicht erfüllt, um späteren Regressforderungen vorzubeugen
("Was möchten Sie denn, da steht es doch.....")
anstatt den Versuch zu machen, die Benutzer/innen ernstlich zu
informieren und zu warnen. Vielleicht passt das nicht in die Unternehmenspolitik,
die sich wahrscheinlich reflexartig auf das Ableugnen von Sicherheitsrisiken
eingestellt hat.
Hand aufs Herz: Kennen Sie - liebe Leserinnen und Leser - eigentlich
etwas das wirklich gänzlich und definitiv auszuschließen
ist? Ich meine, da gibt es nicht viel. Es ist auszuschliessen,
dass ich nächtens von Außerirdischen entführt
und mit langen Nadeln gepiekst werde (es soll ja Leute geben,
die da ganz anderer Meinung sind, aber das ist eine andere Geschichte).
Die Wahrscheinlichkeit von einem Meteor erschlagen zu werden ist
zwar nahe Null, aber nicht perfekt Null, also? "Nicht auszuschließen".
Trotzdem habe ich - und wohl die meisten meiner Mitmenschen -
eine eher entspannte Haltung zu diesem Risiko.
Aber: Dass sich ein Virus aus einer ausführbaren Dateianlage
über Adressbücher weiterverbreitet um sich dann
über Festplatten herzumachen ist nicht nur nicht auszuschließen,
ich würde sogar sagen, es "kann leicht vorkommen"
- wie sich ja nun schon zum wiederholten Mal gezeigt hat. Und
wenn ich eine Dateianlage öffne, deren Absender ich nicht
kenne, oder die sonst irgendwie dubios aussieht, ist das - so
würde ich sagen - "höllisch gefährlich!"
Wenn dies so ist, muss es aber auch gesagt werden, sonst betreibt
man betäubende Desinformation und sorgt dafür, dass
sich Viren lustig verbreiten können. Und wir haben ja schon
erfahren, dass Menschen Risiken liebend gern unterschätzen.
Dies ist natürlich umso mehr der Fall, je mehr Spielraum
man ihnen bei der Schätzung von Wahrscheinlichkeiten lässt.
"Viren können Ihren Computer beschädigen", das ist kommunikativ
völlig wirkungslos, während das Wissen, dass z.B. "Melissa"
und "I Love You" kürzlich von unbedarften oder auch bedarften
Benutzer/innen auf hunderten Rechnern gestartet wurden und tausende
weiterer Rechner verseuchten, eine Aufklärung ist.
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Fehlende
Informationen und Handlungsanweisungen
Wie, lieber Outlook-Bote, stellt man eigentlich fest, ob
die "Quelle der Datei" - übrigens eine sprachlich
nicht eben prägnante Formulierung für "Absender"
- vertrauenswürdig ist? Und: woran erkennt man eine ausführbare
Datei? Wenn wir eine Umfrage unter unbedarften Benutzer/innen
machen würden, würden wir hierzu 80% "weiß
nicht" und 9% falsche Antworten und 11% "lass mich in
Ruhe mit dem technischen Kram" erhalten.
Und jetzt üben wir uns einmal in Perspektivübernahme.
Was ein/e Endanwender/in angesichts der Situation, in die ihn/sie
Outlook bringt, wohl so denken mag?
Nanu? Was ist denn das? Ich weiß
nicht, was ein "Datenträger" ist - meinen
die eine Diskette.....? Mmh, was ist eine "ausführbare
Datei" oder ein "Skript"? Und "den Computer
beschädigen"? Was bedeutet das? Platzt dann mein
Monitor? Das ist ja grauenhaft! Wie kann ich denn "sicherstellen,
dass die Quelle vertrauenswürdig" ist? Was ist
mit "die Quelle" überhaupt gemeint? Die Programmierer
sprechen immer von "Quellcode", soll ich den etwa
auf Vertrauenswürdigkeit prüfen? Wieso ist denn
am Anfang der Meldung von "Webseiten" die Rede,
geht es hier nicht um E-Mail....? Was geschieht denn, wenn
ich jetzt auf "Abbrechen" klicke? Kann dann etwas
passieren? Die Meldung "vor dem Öffnen dieses
Dateityps immer bestätigen" ist inaktiv - warum?
Was soll ich bestätigen? Was geschieht überhaupt,
wenn ich eine "gefährliche" Datei öffne?
Hilfe!
Wieso ist hier kein Hilfstext, der mich etwas schlauer
macht? Nein, nicht die geschwätzige Büroklammer,
die mag ich nicht, ich meine echte Hilfe! Na gut, dann
versuch ich es jetzt einfach mal, wird schon schiefgehen,
bis jetzt ist es ja immer gut gegangen...
- klick -
- klick -
...
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Standard
an der falschen Stelle?
Noch ein weiterer Punkt ist problematisch. Microsoft hat hier
ein Standard-Design und ein Design für systeminterne Ereignisse
gewählt. Das gelbe Dreieck in grauer Box warnt uns täglich
mehr oder weniger geglückt über alle möglichen
mehr oder weniger geglückten Systemereignisse, die sich auf
Windows beziehen. Hier z.B. die Box, die erscheint, wenn
das Abrufen von E-Mail - aus welchen Gründen auch immer -
misslungen ist:
Das Empfangen eines Dateianhangs ist aber eben wegen des Viren-Risikos
keine Standard-Situation, und es geht um Faktoren, die
von extern in das System hineingetragen werden. Wenn man
mit der Meldung das Risiko für Fehlreaktionen vermindern
möchte ist deshalb hier - Styleguide hin, Styleguide her
- eine Standard-Box unangebracht.
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Zusammenfassung
Die fällt kurz aus: Wenn ich ein Virus wäre und mir
eine Warnmeldung als Komplize bestellen könnte, würde
sie etwa so aussehen wie die, die uns Outlook präsentiert.
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