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Artikel 7 von 44
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KommDesign.de Galerie schlechte
Kommunikation
Der Deus ex machina |
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Als Betreiber einer Website hat man eigentlich alles unter Kontrolle:
Bilder, Texte, Formulare, Farben, Animationen können frei
ausgewählt und mehr oder weniger zweck- und zielgruppengerecht
gestaltet werden. Das hat den Vorteil, dass man Misserfolge selbst
verantworten kann - und das ist doch viel lustiger als die Schuld
auf andere zu schieben.
Nun stimmt das mit dem unter-Kontrolle-haben aber nicht zu 100%,
es gibt da nämlich noch allerlei Fenster und Meldungen, die
von Browsern, Datenbanken, Servern, Modems, DFÜ-Netzwerken
usw. geöffnet bzw. abgesondert und den Benutzern hinterrücks
- und meistens ungefragt - präsentiert werden. Deren Reaktionsspektrum
reicht dann je nach der Qualität der übermittelten Botschaft
von milder Verwunderung über verschiedene Grade der Verblüffung
bis zum Einsetzen eines spontanen Totstellreflexes. Leider hilft
es in den wenigsten Fällen wirklich weiter, wenn man sich
ohnmächtig vom Stuhl fallen läßt.
Diese Meldung des Netscape Communicators...
...liest sich für Normalverbraucher wahrscheinlich so:
Natürlich ist es eigentlich nicht korrekt, in diesem Zusammenhang
von "Webdesign" zu sprechen, denn in der Tat hat kann
man ja die meisten Verhaltensweisen der fleißigen Heinzelmännchen
hinter den Benutzeroberflächen nicht beeinflussen - es sei
denn, man ruft eben mal bei Netscape an, um die Verantwortlichen
dort zur Optimierung einiger Systemausscheidungen bewegen (ich
habe es noch nicht versucht, aber ich vermute, es wäre eine
Lebensaufgabe).
Andererseits ist es ein Zeichen für professionelle Betriebsblindheit,
wenn man annimmt, Herr Hinz und Frau Kunz wüßten schon,
wer da was zu verantworten hat. "Diese blöde Meldung
ist in der Shop-Software implementiert, da haben wir ein reines
Gewissen." Die Kundschaft hat aber leider nicht die blasseste
Ahnung, woher die Meldung stammt, und da sie sich auch nicht dafür
interessiert, macht sie in ihrer Einfalt eben doch den
Betreiber verantwortlich. Das ist ungerecht? Schon, aber es gibt
kein Entrinnen. Die mentalen Modelle, die Durchschnittssurfer
vom Funktionieren der Internettechnologien haben, sind platt wie
Flundern: Sie enden präzise auf der Scheibe des Monitors.
Wer meint, ihnen das übel nehmen zu können ("sollen
sie sich doch informieren..."), ist bei der Gestaltung von
Websites fehl am Platz.
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Das folgende Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie vermittels der
Äußerungen von Browser-Heinzelmännchen die Kundschaft
wirksam vergrault wird. Es handelt sich um ein besonders einschneidendes
Erlebnis, das ich beim Besuch eines Online-Shops namens "avitos.com"
hatte. Der Versuch, in den dortigen Warenkorb zu spähen,
hatte geradezu dramatische Folgen.
Zunächst einmal meldete sich dieses Fenster zu Wort:
(Screenshots vom 02.04.2001)
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe(r) Leser(in).
Ich finde, der wesentliche Teil der Message kommt sofort 'rüber:
Das Sicherheitszertifikat der Site ist jedoch fehlerhaft. Oha!
Da stimmt etwas nicht! Vorsicht!!
Gefahr!!!
Immerhin kann man nicht behaupten, dass es sich um eine einsilbige
Angelegenheit handelt. Im Gegensatz zu Meldungen, die uns eine
Fehlernummer anzeigen und daneben einen Button Namens "genauere
Informationen" (um uns dann mitzuteilen, dass zu dieser Fehlernummer
gerade keine genaueren Informationen abrufbar seien), gibt es
hier wirklich reichlich Lesestoff. Das Sicherheitszertifikat wurde
von einer Firma ausgestellt, die Sie als nicht vertrauenswürdig
eingestuft haben.
Hier muss ich nun eine peinliche Erinnerungslücke einräumen.
Ich kann ich mich nämlich nicht daran erinnern, jemals irgend
jemanden als nicht vertrauenswürdig eingestuft zu haben (das
Thema Politiker möchte ich ausnehmen). Immerhin habe ich
damals wohl Recht gehabt (trotzdem merkwürdig...).
Wahrscheinlich rutscht angesichts dieses Fensters auch bei 89-90%
der anderen Kunden von avitos.com das Herz in die Cyberhose. Da
wirft man einen unschuldigen Blick in den Warenkorb und was entdeckt
man darin? Keine Waren, sondern ein ziemlich bösartig aussehendes
Reptil, über dessen Angriffslust und Giftigkeit man sich
kein klares Bild machen kann. Normalerweise wäre es vernünftig,
das Ding gaaanz vorsichtig abzustellen und den Rückzug anzutreten,
aber ich bin ein von Natur aus lernbe- und neugieriger Mensch.
Also habe ich den Impuls unterdrückt, mich unauffällig
zurückzuziehen. Stattdessen habe ich mir das unwürdige
Zertifikat einmal anzeigen lassen - in der (wie sich herausstellen
sollte) völlig abwegigen Hoffnung, ich könne dann feststellen,
ob ich der ausstellenden Institution vertrauen kann. Der Klick
auf Zertifikat anzeigen führt auf direktem Weg zu diesem
Fenster:
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Das TC TrustCenter Class 3CA hat dieses Zertifikat für www.avitos.com
ausgestellt? Das Wort "Trust" weckt natürlich Vertrauen.
Und das Zertifikat hat sein Verfallsdatum auch noch nicht überschritten
(Gültig bis 31.05.2001). Meine Erfahrungen mit H-Milch lehren
mich, dass in dieser Hinsicht alles im grünen Bereich ist.
Leider kann ich keine anderen Erfahrungen zur Bewertung der Situation
heranziehen - wie so ein verdorbenes Zertifikat wohl riecht? Ich
kann auch sonst nichts Verdächtiges erkennen, abgesehen vielleicht
davon, dass ich nicht den geringsten Schimmer habe, wer oder was
das TC TrustCenter ist und was sich hinter dem Begriff Class 3CA
verbirgt. Wäre "Class 4BD besser"? Oder vielleicht
"Class 8GM"?
Trotzdem ist der Button am unteren Rand des Fensters der Ansicht,
ich sei nun ausreichend informiert und könne das Zertifikat
installieren. Aber nein. Gemach, gemach, ich lasse mich nicht
so schnell übertölpeln. Wer weiß, was da installiert
wird und wem es nützt. (Durch meinen Hinterkopf huschen an
dieser Stelle Visionen von trojanischen Pferden, aufdringlichen
Vertretern und nichtabstellbaren Werbezusendungen). Ich halte
mich also an die erste Meldung, die angezeigt wird: Das Zertifikat
kann aufgrund mangelnder Informationen nicht bestätigt werden.
Das findet nun wirklich meine uneingeschränkte Zustimmung.
Eine interessante Frage noch zum Schluß: Was geschieht,
wenn ich auf OK klicke? Bedeutet das "Zertifikat nicht
installieren"?
Alles in allem eine beachtliche Leistung in Sachen Konfusionstechnik.
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Also weiter. Schauen wir einmal, welche Details das dienstbare
Fenster bereit hält. Details klingt ja eigentlich nach "mehr
Information", "Erklärung" oder "Aufklärung"...
...was aber - wie man hier schön sehen kann - nicht immer
und unbedingt der Fall sein muss. Mehr Information gibt es zwar
in der Tat, eine Erklärung des Geschehens rückt aber
in unerreichbare Ferne. Dazu muss ich vielleicht erwähnen,
dass ich nicht zu dem Kreis der Erwählten gehöre, die
wissen, was RSA 1024 Bits bedeutet oder was ein Signaturalgorithmus
macht.
Schön. Jetzt habe ich also (a) das Grobe nicht verstanden
und wurde (b) von den Details in Verwirrung gestürzt, da
kann (c) ein Blick in den Zertifizierungspfad die Sache eigentlich
nicht mehr verschlimmern:
Aha!
Zum Glück habe ich es schon lange aufgegeben, derartige
Informationen verstehen zu wollen - eine Eigenschaft, die mich,
wie ich immer wieder feststelle, von den Anfängern in Sachen
Computer und Internet unterscheidet. Wenn jemand darüber
klagt, dass er oder sie etwas nicht verstehe, ist das ein untrügliches
Zeichen dafür, dass er oder sie noch nicht lange im Geschäft
ist. Alte Hasen ersetzen das Verstehen von Systemzusammenhängen
durch zeitsparende Problemlösungsstrategien, z.B. einen gefühlvoll
ausgeführten Warmstart oder die Neuinstallation einer spontan
improvisierten Auswahl wichtiger Programme und Treiber oder einen
Testlauf des Virencheckers (man weiß ja nie...)
Der Sachverhalt, dass hier ein Zertifikatsaussteller, dessen
Name und eMail Adresse einerseits wohlbekannt sind, andererseits
nicht gefunden wird, ist genau so ein Problem, über das man
nicht nachdenken sollte. Nein, tun Sie es nicht, Sie werden nicht
glücklich. Fragen Sie sich auch nicht, warum Sie sich das
Zertifikat nicht anzeigen lassen können oder was hier wohl
geschehen mag, wenn Sie auf OK klicken.
Ich selbst konnte durch einen Klick auf den Button zum Schließen
des Fensters und 2-3 Klicks auf die Back-Taste wieder eine zertifikatfreie
Sicht auf das Web herstellen. Das ging ja nochmal glimpflich ab.
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Und wieso lautet der Titel dieses Beitrags "Deus
ex machina"? Das ist leicht erklärt, wenn wir die Beteiligten
zu dem Vorfall befragen. Also: Wer ist für die Misere verantwortlich?
avitos.com:
"Schuld ist entweder der böse Browser oder die dummen
Kunden. Wenn ersterer nicht defekt war und deshalb unser taufrisches,
kerngesundes Zertifikat nicht lesen konnte, haben letztere an
den Einstellungen ihres Browsers herumgefingert und sich damit
ihre Zertifizierungsfähigkeit ruiniert. Wir tun alles,
um für einen reibungslosen Einkauf in unserem Shop zu sorgen,
das kann ich Ihnen versichern. (Ausserdem sind die Leute, die
die Systemmeldungen gestaltet haben, inkompetente Holzköpfe.)
TC Trust Center:
"Schuld ist entweder avitos.com oder der böse Browser
oder die dummen Kunden. Wenn ersterer bei der Implementierung
des Zertifizierungsmechanismus keine Fehler gemacht hat, war
zweiterer defekt und/oder letztere haben an den Einstellungen
ihres Browsers.... naja, Sie wissen schon. Unsere Zertifikate
sind jedenfalls bombensicher, das kann ich Ihnen versichern.
(Ausserdem sind die Leute, die die Systemmeldungen gestaltet
haben, inkompetente Holzköpfe.)
Der Kunde:
Mir ist völlig schnuppe, wer hier die Schuld trägt.
Ich bin es jedenfalls nicht. Das mentale Unterkonto, in dem
für gewöhnlich meine Vertrauensvorschüsse lagern,
ist jetzt total geplündert, das kann ich Ihnen versichern.
(Ausserdem sind die Leute, die die Systemmeldungen gestaltet
haben, inkompetente Holzköpfe.)
Bleibt als Verantwortlicher eigentlich nur
einer übrig: Der geheimnisvolle Geist in der Maschine.
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