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KommDesign.de — Texte — Usability (1)

Die EN ISO 9241 - 10

Der Grundsatz der Aufgabenangemessenheit
Der Grundsatz der Selbstbeschreibungsfähigkeit
Der Grundsatz der Steuerbarkeit
Der Grundsatz der Erwartungskonformität
Der Grundsatz der Fehlertoleranz
Der Grundsatz der Individualisierbarkeit
Der Grundsatz der Lernförderlichkeit

 

Das ist wirklich keine sehr einladende Überschrift für einen Artikel, ich gebe es zu. Aber das Thema, das sich hinter ihr verbirgt, ist interessant und wichtig. Es geht um die europäische Norm EN ISO 9241, in der Kriterien für das Design ergonomischer Benutzerschnittstellen definiert sind. 

Sie besteht insgesamt aus 17 Teilen:

Teil 1: Allgemeine Einführung
Teil 2: Anforderungen an die Arbeitsaufgaben - Leitsätze
Teil 3: Anforderungen an visuelle Anzeigen
Teil 4: Anforderungen an Tastaturen
Teil 5: Anforderungen an die Arbeitsplatzgestaltung und Körperhaltung
Teil 6: Anforderungen an die Arbeitsumgebung
Teil 7: Anforderungen an visuelle Anzeigen bezüglich Reflexionen
Teil 8: Anforderungen an Farbdarstellungen
Teil 9: Anforderungen an Eingabegeräte außer Tastaturen
Teil 10: Grundsätze der Dialoggestaltung
Teil 11: Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit - Leitsätze
Teil 12: Informationsdarstellung
Teil 13: Benutzerführung
Teil 14: Dialogführung mittels Menüs
Teil 15: Dialogführung mittels Kommandosprachen
Teil 16: Dialogführung mittels direkter Manipulation
Teil 17: Dialogführung mittels Bildschirmformularen
Besonders interessant für das Internet ist der wohl prominenteste Teil der Norm, die EN ISO 9241 Teil 10: "Grundsätze der Dialoggestaltung". Diese können auch auf das Webdesign übertragen werden - besser gesagt: sie sollten. Für jemanden, der sich mit Mensch-Maschine-Interaktion beschäftigt, ist es ja letztlich belanglos, ob die "Maschine" eine Desktop-Anwendung, ein Betriebssystem oder ein Online Shop ist. Und obwohl ich zu der Auffassung neige, dass in unserer modernen Welt ohnehin genug reglementiert und normiert wird, muss ich gestehen, dass es auf vielen Websites und Webapplikationen ganz gehörig mangelt an dem, was in der ISO 9241 als Voraussetzung für ergonomische Software - im Original ist die Rede von "Dialogsystemen" - definiert wird. Zu jedem der Kriterien könnte man ganze Traktate abfassen. Ich möchte im folgenden versuchen, sie an einigen Beispielen zu verdeutlichen. (Die blau dargestellten Texte sind Original-Zitate aus dem Text der ISO Norm.)
 
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Die EN ISO 9241 - 10: Grundsätze der Dialoggestaltung 

1. Einfach und direkt zum Ziel: Aufgabenangemessenheit

"Ein Dialog ist aufgabenangemessen, wenn er den Benutzer unterstützt, seine Arbeitsaufgbe effektiv und effizient zu erledigen."
  • Auf einer Website sind Ansprechpartner zu finden, so dass ein Benutzer / Kunde sein Ziel, eine E-Mail persönlich zu adressieren, erreichen kann. 
  • In einem Formular werden keine Pflichtangaben verlangt, die mühsam auszufüllen sind und mit dem Abwickeln des relevanten Vorgang nichts zu tun haben. 
  • Bei der Gestaltung von Grafiken wird auf minimale Wartezeiten Wert gelegt.
  • In einem Formular, das korrigiert werden muss, wird der Cursor gleich auf das zu korrigierende Fald gesetzt.
  • Zwischenergebnisse einer längeren Online-Transaktion können gespeichert werden.
  • Für Besucher, die ein Angebot oft nutzen, werden Short-cuts zu den wichtigsten Seiten bereitgestellt.
 
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2. Wenn Intuition ausreicht: Selbstbeschreibungsfähigkeit
"Ein Dialog ist selbstbeschreibungsfähig, wenn jeder einzelne Dialogschritt durch Rückmeldung des Dialogsystems unmittelbar verständlich ist oder dem Benutzer auf Anfrage erklärt wird."
  • Links sind so formuliert, dass man sicher vorhersagen kann, wohin sie führen. 
  • Der Umfang einer Treffer-Liste kann gleich am Tabellenanfang abgelesen werden. 
  • Eine Web-Applikation hat eine Online-Hilfe, die kontextspezifische Bedienhinweise gibt.
  • Nachdem eine Anfrage an eine Datenbank gesendet wurde, erscheint eine Meldung "Anfrage wird bearbeitet, bitte warten".
3. Wenn alles unter Kontrolle ist: Steuerbarkeit
"Ein Dialog ist steuerbar, wenn der Benutzer in der Lage ist, den Dialogablauf zu starten sowie seine Richtung und Geschwindigkeit zu beeinflussen, bis das Ziel erreicht ist."
  • Eine Tabelle hat Buttons, mit deren Hilfe die Informationen spaltenweise sortiert werden können.
  • Eine Suchmaschine bietet die Möglichkeit, die Zahl der auf einer Seite angezeigten Treffer einzustellen.
  • Ein Tool ermöglicht es den Benutzern, einen Dateidownload zu unterbrechen und später fortzusetzen.
  • Umfangreiche Grafiken werden als "Thumbnails" dargestellt, die bei Bedarf vom Benutzer vergrößert werden können.
 
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4. Wenn es zur Gewohnheit wird: Erwartungskonformität
"Ein Dialog ist erwartungskonform, wenn er konsistent ist und den Merkmalen des Benutzers entspricht, z.B. seinen Kenntnissen aus dem Arbeitsgebiet, seiner Ausbildung und seiner Erfahrung sowie den allgemein anerkannten Konventionen."
  • Das Link zur Startseite ist unter dem Firmenlogo oben links platziert.
  • Der "Warenkorb" in einem Online-Shop heißt immer und in allen Zusammenhängen "Warenkorb".
  • Unterstrichene Wörter sind immer Hypertext-Links.
  • Beim Drücken der Tabulator-Taste springt der Cursor auf das nächste Einfabefeld.
5. Wenn unliebsame Überraschungen ausbleiben: Fehlertoleranz
"Ein Dialog ist fehlertolerant, wenn das beabsichtigte Arbeitsergebnis trotz erkennbar fehlerhafter Eingaben entweder mit keinem oder mit minimalem Korrekturaufwand seitens des Benutzers erreicht werden kann.“
  • Beim Rückwärtsbrowsen in einer Web-Applikation mit der Back-Taste wird die Information immer aktualisiert, sodass nicht fälschlicherweise der Eindruck entsteht, Bearbeitungsschritte seien rückgängig gemacht worden.
  • Über ein Skript werden die Daten eines Formulars auf Plausibilität, fehlende oder unvollständige Eingaben geprüft, bevor Sie abgesendet werden. 
  • Fehlermeldungen werden nicht technisch verklausuliert oder als Nummer angezeigt, sondern in der Sprache der Benutzer formuliert.
 
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6. Wenn jeder arbeitet, wie es ihm beliebt: Individualisierbarkeit
"Ein Dialog ist individualisierbar, wenn das Dialogsystem Anpassungen an die Erfordernisse der Arbeitsaufgabe sowie an die individuellen Fähigkeiten und Vorlieben des Benutzers zuläßt."
  • In einem personalisierten Web-Portal kann der Benutzer festlegen, welche Fenster an welcher Bildschirmposition angezeigt werden.
  • Ein editierbares Profil ermöglicht es anzugeben, welche News man in einer Mailing-Liste lesen möchte.
  • Den Kunden eines Online-Shops wird erspart, persönliche Bestellinformationen bei jedem Besuch eingeben zu müssen. Das System erkennt sie und füllt die entsprechenden Formularfelder selbständig aus. 
  • Auf der Startseite einer Website besteht die Möglichkeit, eine HTML- oder Flash-Version anzuwählen und zu bookmarken.
7. Wenn man schlauer wird:  Lernförderlichkeit
"Ein Dialog ist lernförderlich, wenn er den Benutzer beim Erlernen des Dialogsystems unterstützt und anleitet."
  • In einer "Guided Tour" werden die Benutzer mit besonderen Tricks in der Bedienung einer Applikation vertraut gemacht. 
  • Im Buchungs-System eines Reiseanbieters besteht die Möglichkeit eine Probebuchung vorzunehmen.
  • In einer Sitemap kann man sich ansehen, nach welcher Logik eine Website strukturiert ist.
 
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"Ist das ist schon alles?..."

...werden Sie nun vielleicht sagen. "Dafür brauche ich doch keine Norm, das sind doch selbstverständliche Dinge."  Und Sie haben Recht. In der Tat ist das, was in der ISO 9241 steht, keine Geheimwissenschaft. Andererseits: Dies gilt eigentlich für alles, was mit Ergonomie zu tun hat. Ergonomie ist die Wissenschaft von der Einfacheit, vom Offensichtlichen, das Gegenteil von spektakulär und geheimnisvoll - gesunder Menschenverstand also (allerdings mit System). Man kann deshalb auch keine Awards mit ihr gewinnen. Vielleicht liegt gerade hierin die grausam schlechte Benutzerfreundlicheit vieler Web-Angebote begründet. Wenn einfache, intuitive Bedienerführung Award-Gremien mehr interessieren würde... man kommt ins Phantasieren. Aber noch einmal: Ergonomie zeichnet sich durch Unauffälligkeit aus, weil Sie der zu erfüllenden Funktion eines Gegenstandes dient und keinem anderen Neben-Zweck. Man bemerkt sie nur, wenn sie fehlt.

Und wozu braucht es eine "Norm"? Meine persönliche Antwort hierauf lautet:: Als Waffe, um den vielen wichtigen Menschen, die derzeit überall in den neuen Medien die vielen wichtigen Entscheidungen falsch treffen, etwas entgegnen zu können. Gesunder Menschenverstand überzeugt keinen rhetorisch geschulten Geschäftsführer, der im Bariton seiner Autorität verlautbart, die Katalog-Applikation sei ganz nett, aber sie müsse doch irgendwie - mmh - sexier sein, da müsse man etwas tun (und zwar schleunigst). Das Erwähnen der ISO 9241 kann in solchen Situationen nach meiner Erfahrung schon eine deutlich geschäftsführerernüchternde Wirkung haben. Denn bei allem dilettantischem Eifer kann man eines immerhin von ihnen behaupten: sie verstoßen nicht gerne gegen ISO Normen.

Das Top-Link zum Thema
Mehr zum Thema Normen und Verordnungen in der Softwaregestaltung erfahren Sie auf der Website von "Ergo Online:
http://www.sozialnetz-hessen.de/Ergo-Online/ergo_frame1.htm Link in neuem Fenster öffnen

Wo kann man Normtexte kaufen?

Beim Beuth Verlag finden Sie eine Sammlung aller Normen mit der Möglichkeit, die einzelnen Teile online zu bestellen. Allerdings muß ich warnen: Die Normen kosten gehörig Geld. Die DIN 9241 - 10 ist mit einem Preis von 60, 42 DM  noch ein Leichtgewicht. Für die Ganze 9241 muss man über 1500 DM berappen!

http://www2.beuth.de/ Link in neuem Fenster öffnen

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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