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KommDesign.de — Texte — Motivation und Handeln (3)

Über Flow

Was ist "Flow"?
To flow or not to flow...
Selten erreicht: Flow in World-wide-web
Was tun?
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Das Internet und die neuen Medien bescheren uns jeden Tag neue Wörter und Begriffe, ohne daß man immer nachvollziehen oder verstehen kann, was sie genau bedeuten oder wie sie geprägt wurden. Wer die Romane und Erzählungen von William Gibson nicht gelesen hat wird z.B. kaum je dahinterkommen, warum allenthalben vom "Cyberspace" die Rede ist. Auch technische Begriffe wie "Server" oder "Hosting" sind sprachliches Neuland und für jemanden, der noch keine Erfahrung mit dem WWW hat, und das ist die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, völlig rätselhaft (nebenbei bemerkt ein Sachverhalt, der auf vielen Websites nicht berücksichtigt wird).

Ich möchte mich in diesem Artikel mit einem etwas älteren neuen Begriff beschäftigen, der überhaupt nichts mit Technik aber sehr viel mit dem WWW zu tun hat. Er gibt einige interessante und sehr grundlegende Hinweise darauf, was man bei der Angebotsgestaltung im Web richtig oder falsch machen kann. Es handelt sich um den Begriff "Flow", der von einem amerikanischen Psychologen mit dem wirklich unglaublich einprägsamen Namen Mihalyi Czikzentmyhalyi stammt. Dieser hat das Wort "Flow"  Mitte der 70er Jahre erstmals verwendet, um einen besonderen Bewußtseinszustand zu bezeichnen. Das mag auf den ersten Blick etwas mystisch klingen - riecht irgendwie nach Hypnose oder transzendentaler Meditation -, ist es aber nicht. Eigentlich ist Flow sogar etwas relativ alltägliches, das wir alle aus eigener Erfahrung kennen.  

 
 
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Was ist "Flow"?

Flow entsteht, wenn wir so in eine Tätigkeit vertieft sind, daß wir von ihr völlig absorbiert werden, also - wie es so schön heißt - uns selbst und die Welt um uns herum vergessen. Dies ist vor allem der Fall bei kreativer Arbeit, Spielen oder Leistungen, die hohe Anforderungen an Konzentration und Intellekt stellen. Zu den ersten Flow-Tätigkeiten, die Gegenstand wissenschaftlicher Analysen waren, gehörten Schachspielen und Freeclimbing. Und jeder, der sich einer dieser Sportarten einmal gewidmet hat, wird bestätigen können, daß beim konzentrierten Spielen (Schach) oder Bewegen (Klettern) alle irrelevanten Wahrnehmungen und Gedanken komplett weggefiltert werden. Die ersten Bestimmungsstücke, die für die Definition des Begriffs Flow wichtig sind, wären also eine fokussierte Aufmerksamkeit und ein Abgeschirmtsein gegenüber Ablenkungen. Dieser Effekte können so intensiv sein, daß das Zeitgitter, in welches wir unsere Handlungen und Erfahrungen gewöhnlich einordnen, kurzerhand mitvergessen wird. Damit haben wir schon ein weiteres wichtiges Merkmal der Flow-Erfahrung dingfest gemacht, nämlich ein Verlust des Zeitgefühls. Am Beispiel des Spielens kann man dies sehr leicht verdeutlichen: Wer sehr konzentriert spielt, z.B. ein Computerspiel, macht dabei die Erfahrung, daß die Zeit "im Flug" vergeht. Man werkelt so vor sich hin, und unvermittelt sind zwei oder auch drei Stunden vergangen, ohne daß man es recht bemerkt hat. Wenn eine Tätigkeit kurzweilig ist, ist sie also ein guter Kandidat für eine Flow-Aktivität.

Das Beispiel der Computerspiele führt uns zum nächsten wichtigen Punkt: Flow ist eine uneingeschränkt positive Erfahrung, die sich aus einem eigentümlichen Gemisch von Anstrengung und spielerischer Leichtigkeit, hoher Konzentration und Selbstvergessenheit zusammensetzt. Dies geht einher mit einem Gefühl von Effizienz und "Können". Flow-trächtige Handlungen werden deshalb gerne und oft wiederholt, und sie werden oft um ihrer selbst Willen ausgeführt, selbst wenn sie bestimmten Zielen dienen (etwa konzentriertes Musizieren, das für einen Musiker letztlich dazu dienen mag, Geld zu verdienen). Der Motor, der sie in einer Situation antreibt, liegt also nicht in einem später eintretenden Erfolg oder einer von außen kommenden Belohnung, sondern gewissermaßen im Ausführen der Handlung selbst. Czikzentmyhalyi, der ein ausgesprochener Freund von Wortneuschöpfungen ist, spricht in diesem Zusammenhang von "autotelischem" Verhalten (auto = selbst, Telos = das Ziel).

 
 
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To flow or not to flow...

Eine wichtige Voraussetzung für das Zustandekommen einer Flow-Erfahrung ist, daß die Anforderungen und Fähigkeiten im Gleichgewicht sind. Wenn eine Aufgabe zu schwierig wird, besteht andauernd die Gefahr von Fehlern. Der Handlungsfluß wird dann häufig unterbrochen, man beschäftigt sich gedanklich mit einem möglichen Mißerfolg, und damit entsteht Angst oder Ärger, aber kein Flow. Im umgekehrten Fall, also einer Unterforderung durch eine zu leichte Aufgabe, hat es sich ebenfalls schnell ausgeflowt. Interesse und Konzentration lassen nach, und es entsteht Langeweile. Nun sind natürlich bei sehr primitiven Tätigkeiten (sagen wir, beim Kauen von Kaugummi) Anforderungen und Fähigkeiten ebenfalls im Gleichgewicht, aber niemand käme auf den Gedanken, hier von einer besonders intensiven Erfahrung zu sprechen. Was "keine Kunst" ist, erzeugt also keinen Flow. Die folgende Tabelle faßt diese Zusammenhänge noch einmal zusammen:


Flow entsteht, wenn Anforderungen und Fähigkeiten hoch und im Gleichgewicht sind. Unter- bzw. Überforderung erzeugen Langeweile bzw. Angst. Wenn Fähigkeiten und Anforderungen gering sind, kommt es zu keiner besonderen Erfahrung oder Emotion.
 
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In bezug auf die Frage, ob Flow zustandekommt oder nicht, ist noch ein weiterer Aspekt wichtig, nämlich das Prinzip der Aufgabenschwierigkeit: Dies geht indirekt aus den in der Tabelle dargestellten Bedingungen hervor. Es gilt nämlich: Je anspruchsvoller die Aufgabe bzw. die Herausforderung, die bearbeitet bzw. gemeistert wird, desto intensiver der Flow. Dies ist allerdings in zwei Punkten einzuschränken: Erstens dürfen die Anforderungen den Bereich des Machbaren nicht überschreiten, und zweitens ist es nicht wünschenswert, Aufgabenschwierigkeit um einfach ihrer selbst Willen nach oben zu schrauben, also unnötige Hürden und Schikanen aufzubauen. 

Wenn die Voraussetzungen stimmen, entsteht dann schließlich das, was der Flow-Erfahrung ihren Namen gegeben hat: Trotz relativ hoher Anforderungen "fließen" Handlungen und Gedanken, d.h. sie laufen mühelos ab, und ihre einzelnen Elemente fügen sich wie von selbst ineinander. Flow macht Spaß, es ist - so Czikzetmyhalyi - eine Optimal-Erfahrung ("optimal experience").

 
 
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 Selten erreicht: Flow in World-wide-web

All dies kann natürlich nur funktionieren, wenn sich die Umwelt gewissermaßen flow-gerecht verhält, also z.B. schnell, unmittelbar und präzise Rückmeldungen über die Wirkung der eigenen Handlungen liefert. Durch Unterbrechungen, Ablenkungen, Desorientierung oder Mißerfolgserlebnisse hören Handlungen ganz schnell zu fließen auf, womit es dann zugleich auch - im wörtlichen Sinn - um den Flow geschehen ist. Und damit sind wir bei der Frage angelangt, was das ganze mit dem WWW und Webdesign zu tun hat.

Hierzu wäre zunächst zu sagen, daß das Web eigentlich ein ideales Flow-Medium ist. Beim Surfen sind innerhalb kürzester Zeitspannen große Informationsmengen zu bewältigen und sehr viele Entscheidungen zu treffen. Man bewegt sich innerhalb eines anscheinend unendlich großen Netzwerks von immer neuen Informationen und Möglichkeiten, auf die man aktiv und flexibel reagieren muß. Dies macht nicht nur den eigenartigen Reiz des Surfens aus, es unterscheidet das Web auch von allen anderen Medien, vor allem Radio und Fernsehen, in welchen man Informationen passiv aufnimmt und bestenfalls zum nächsten Kanal oder Sender zappen kann. Jeder Mausklick, jede neue Website, die erreicht wird, eröffnet neue Alternativen und kann die Situation, in der sich ein Benutzer befindet, völlig verändern - eine sehr anspruchsvolle, aber eben auch eine sehr interessante Aufgabe mit hohem Flow-Potential. 

Andererseits gibt es da allerlei Dinge, die das spielerische Surfen oft zur Quälerei werden lassen und jeden Flow gleich im Keim ersticken. Die Konzentration wird beim ersten 404 Fehler ("Seite nicht vorhanden") sabotiert, das Erleben von Kompetenz geht in unübersichtlichen Seiten voller schwammiger ("Info") oder abgedroschender ("News") Links in die Knie, und die Aufmerksamkeit wird von jedem stupide vor sich hin rotierenden Logo defokussiert. Auch ein Gefühl von Zeitverlust mag angesichts schmucker Grafiken ebenso schmucker Firmengebäude, die sich bei tickendem Gebührenzähler im Zeitlupentempo entfalten, nicht so recht aufkommen. Jeder, der einmal auf eine allzu schwerfällig reagierende Site gewartet hat, wird das kennen: Anstatt sich mit weiter mit den Zielen zu beschäftigen, die man gerade verfolgt, schweift man unwillkürlich ab und beginnt z.B. über die Steuererklärung zu meditieren - womit nicht nur Flow und Konzentration, sondern auch die gute Laune plötzlich wie weggezaubert sind. 
 

 
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Flow kommt auch nicht zustande, wenn man gezwungen wird, sich mit dem selbstgefälligen Geschwafel der PR-Texter zu beschäftigen, das sich leider nicht nur in der notorischen "wir über uns" - Rubrik ansammelt (da kann man ihm ja leicht aus dem Weg gehen), sondern oftmals ganze Websites sprachlich verseucht. Genauso unwirksam ist ästhetische Coolness. Das schöngeistige Erschauern, das uns angesichts einer dezent in Marmor gravierten Hintergrundgrafik oder polierter Buttons in digitalem Wurzelholzimitat überfällt, ist im Vergleich zu einem Flow-Erlebnis allerdings nicht mehr als kalter Kaffee. Aufwendige programmiertechnische Finessen, die nur von einem Bruchteil der Benutzer überhaupt als solche erkannt werden, sind ebenfalls nicht gerade Glanzstücke in Sachen Flow-Erzeugung oder -Erhaltung. Und ganz weit unten auf der Liste der flow-auslösenden oder -unterstützenden Gestaltungselemente stehen schließlich jene Flash-Shockwave Profiarbeiten, die sich selbst als interaktive Erlebniswelten mit "maximalem Infotainment" anpreisen, und unterm Strich dann nicht mehr zu bieten haben, als ein von schmissiger Kaufhausmusik untermalter und obendrein noch langweiliger TV-Trailer.  
 
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Was tun?

Nachdem wir nun ausführlich besprochen haben, was aus der Perspektive der Flow-Psychologie alles abträglich oder irrelevant ist, möchte ich nun zur Frage kommen, was man mit dem Begriff Positives anfangen kann. Zunächst ist er geeignet, ein präziseres Bild von der Motivation der Websurfer zu zeichnen. Wenn Benutzer im Internet nach Flow-Erfahrungen suchen (und daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen), dann bedeutet dies, daß sie nicht einfach konsumieren, was man ihnen vorsetzt. Sie versuchen möglichst effektiv zu lernen, zu handeln, zu entscheiden und aktiv zu reagieren. Und sie möchten dabei nicht abgelenkt, behindert oder gestört, sondern unterstützt werden. Hieraus möchte ich nun nicht die üblichen "10 Tips für flow-gerechtes Design" ableiten. Das Problem ist zu komplex, als daß man es auf einige kernige Regeln und Parolen reduzieren könnte. Es ergeben sich aber immerhin zwei klare Orientierungslinien, die beim Finden einer Strategie für die Gestaltung und Optimierung des eigenen Internet-Auftritts behilflich sein können: 

Erstens: Es gilt, Ziele und Informationen anzubieten, die es wert sind, erreicht und gelernt bzw. aufgenommen zu werden. Dies ist primär eine Frage des "Contents", also der Inhalte, die man anbietet. Nur wer ein lohnendes Ziel vor Augen hat, wird sich auf einen längeren gezielten Streifzug durch eine Website einlassen. Dies ist wiederum die erste und wichtigste Voraussetzung dafür, daß Flow zustandekommt, denn: Flow braucht Zeit. Die Zauberformel, mit der man dies erreichen kann, besteht aus zwei oft mißverstandenen und mißbrauchten Wörtern: Nutzen und Infotainment. So leicht diese Begriffe allen Beteiligten über die Lippen gehen, so wenig werden sie verstanden. Die meisten Anbieter planen ihre Websites frohgemut für sich selbst, anstatt sich in Perspektivübernahme zu üben, sprich: zu fragen, was das Publikum wohl interessieren und binden könnte. Und wie man allenthalben sehen und erleben kann, ist es keineswegs selbstverständlich, daß Dinge, die den Verantwortlichen und Gestaltern gefallen, für andere nützlich und unterhaltsam (also flow-wirksam) sind. Ich persönlich habe den sogar den Eindruck, daß es da eine Art Umkehrgesetz gibt: Je zufriedener Agentur ("Da haben wir ja wieder mal echt gezeigt, was wir können.") und Entscheider ("Da haben wir die Texte aus unserem Firmenprospekt endlich einmal für etwas Sinnvolles verwendet".), desto greulicher ist am Ende das Ergebnis. Was nützlich, interessant und unterhaltsam ist, kann und soll aber eigentlich das Publikum ganz alleine entscheiden. Einfacher gesagt: Der Köder muß den Fischen schmecken, nicht dem Angler.

Der zweite Punkt betrifft das "Wie", also Design und Benutzerfreundlichkeit. Und auch hier ist die Konsequenz im Grunde sehr einfach: Alles, was die Benutzer bei der Erreichung ihrer Ziele und der Aufnahme bzw. Verwertung von Informationen behindern oder ablenken könnte, ist aus dem Weg zu räumen. Nur wenn eine Site so gestaltet ist, daß ihre Gäste... 

  • sie im Schlaf bedienen, 
  • Gesuchtes schnell finden, 
  • Informationen mühelos verarbeiten 
  • ihre Handlungsziele direkt verfolgen können, 
...ist sie flow-wirksam. Wenn sie dann noch neue, attraktive Ziele entdecken und sich obendrein noch unterhalten, hat man nicht nur eine wirklich perfekte Website, die Besucher werden auch garantiert wiederkommen - und es weitersagen. Derzeit könnten neun von zehn Websites bescheidener, einfacher, flacher, schlichter, leerer, ruhiger, übersichtlicher, prägnanter, kurzum: besser sein, und zwar ohne daß die Anbieter an ihren eigenen Zielen auch nur die geringsten Abstriche machen müßten.
 
   
Abschließend sei noch kurz darauf hingewiesen, daß das Thema "Flow" im englischsprachigen Web schon seit längerem Fuß gefaßt hat. Im Project 2000 der Vanderbilt University werden z.B. Anstrengungen unternommen, Flow zu messen und das Konzept für Marketingzwecke nutzbar zu machen. Unabhängig von den wissenschaftlichen Problemen, die dies aufwirft, ist auch hier der Tenor eindeutig: Anbieter, sie ihre Websites flow-gerecht gestalten, haben Wettbewerbsvorteile. Die Artikel sind ausgezeichnet, allerdings wissenschaftlich und methodisch recht anpruchsvoll. Die URL: 

http://www2000.ogsm.vanderbilt.edu/research/papers/
html/manuscripts/flow.july.1997/flow.htm
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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