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Verarbeitungstiefeman kann nicht Nicht-kommunizieren
Artikel 14 von 34

KommDesign.de — Texte — Kommunikation (1)

Die fehlende Dimension

Was ist Kommunikation?
Inhalt und Beziehung
Kontext- und Adressatenabhängigkeit
auf anderen Kanälen
Beiläufigkeit beim Empfänger
Beiläufigkeit beim Sender
Zusammenfassung

 
   
Wohl jeder, der sich in irgendeiner Weise mit dem WWW beschäftigt, sei es als Informationskonsument, als -anbieter oder -designer(in), wird zustimmen, daß es ein Kommunikationsmedium ist. Über E-Mail und Websites können Informationen ausgetauscht werden, und die Qualität der Verständigung variiert auf verschiedenen Dimensionen, z.B.:
  • einfach - umständlich 
  • direkt - indirekt
  • eindeutig - mehrdeutig 
  • befriedigend - unbefriedigend 
  • einseitig - interaktiv 
Wie in jeder Kommunikation gibt es auf beiden Seiten bestimmte Ziele und ein "Gefühl", d.h. der Kontakt ist angenehm oder unangenehm. Diese emotionale Dimension wird im Web vernachlässigt, obwohl oft gerade von ihr abhängt, (a) wie gut die Kommunikation insgesamt funktioniert, und (b) wie dauerhaft der Kontakt oder die Beziehung ist. Weil das Ausblenden dieser "weichen" (nicht präzise definierbaren) Faktoren sehr negative Auswirkungen haben kann, möchte ich in diesem ersten Artikel über Kommunikation auf das Senden und Empfangen von "Beziehungsbotschaften" auf Websites eingehen. Zuvor müssen wir uns aber noch mit einer allgemeinen Frage beschäftigen: Was ist Kommunikation eigentlich, wie kann sie definiert werden, wie funktioniert sie sozusagen "im Prinzip?" 
 
 
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Was ist Kommunikation?

Damit ein Vorgang als Kommunikation bezeichnet werden kann, braucht es folgende Zutaten: 

  • einen Sender, der einem anderen etwas übermitteln will 
  • eine Botschaft 
  • einen Empfänger 
  • ein Medium, in dem die Information dargestellt wird
  • einen Übertragungskanal, der die Botschaft transportiert.

Die folgende Abbildung faßt dies noch einmal anschaulich zusammen.

Ein allgemeines Modell der Kommunikation 
(Erklärungen im Text)

 
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Wenden wir diese Begriffe zunächst einmal auf ein alltägliches Beispiel an: Wenn Sie in einer Kneipe ein Bier bestellen, dann sind Sie der Sender, die Bedienung ist der Empfänger, das Medium ist die Sprache, der Übertragungskanal sind Schallwellen, und die Botschaft (die unterschiedlich formuliert und gestaltet sein kann) ist die Aufforderung oder Bitte, ein Bier zu servieren.

Wenn auf Websites Kommunikationsprozesse stattfinden, müssen die einzelnen Elemente der Grafik auch hier zu finden sein, und tatsächlich ist dies auch nicht weiter schwierig: 
 
 

Kommunikation über Websites:
Sender die Person, das Unternehmen oder die Organisation, die die Web-Seiten im Netz plaziert
Empfänger die Benutzer/innen, welche die Seiten mit einem Browser auf den heimischen Computer oder den Arbeitsplatz-Rechner laden
Medium ein komplexes Gebilde, das technisch gesehen aus Modem, Computer, Monitor und Browser, inhaltlich aus den auf den Web-Seiten dargestellten Grafiken und Texten besteht
Botschaft die übertragenen Text- und Bildinformationen
Übertragungs-
kanal
eine Telefonleitung mit einem mehr oder weniger starken Server auf der einen und einer ebenfalls mehr oder weniger leistungsfähigen Hardware auf der anderen Seite

 
 
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Inhalt und Beziehung

In der Grafik weiter oben wird zwischen einem "Inhaltsaspekt" und einem "Beziehungsaspekt" der Botschaft unterschieden. Dies ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt, wenn man Kommunikationsprozesse erklären, verstehen und gestalten möchte. 

  • Der Inhaltsaspekt ist das, was an sachlichen Informationen übermittelt wird, also gewissermaßen den objektiven (in der sprachlichen Kommunikation könnte man sagen: wortwörtlichen) Inhalt der Botschaft. 
  • Als Beziehungsaspekt bezeichnet man Bedeutungen, die etwas darüber aussagen, was man über den anderen denkt, wie man sich selbst bewertet und welche Qualität die Beziehung zu dem Gegenüber hat. Diese können direkt aus dem Inhalt folgen, häufig handelt es sich jedoch um "Neben"bedeutungen, die nicht offen ausgesprochen werden.
Um auf unser Beispiel zurückzukommen: Wenn Sie Ihre Bestellung mit einem herzhaften "Bier her!" aufgeben, fordern Sie die Bedienung nicht nur zum Servieren eines Bieres auf (Inhaltsaspekt), gleichzeitig machen Sie deutlich, daß Sie (a) keine gute Kinderstube haben, (b) die Arbeit der Bedienung nicht sonderlich wertschätzen, und (c) die Beziehung als die zwischen einem "Boß" und einem Befehlsempfänger gestalten möchten. Dies ist der Beziehungsaspekt der Botschaft, und man muß mit diesem Begriff arbeiten, wenn man die Situation vollständig verstehen will. Das "Ich bin der Boß" wird ja nicht ausgesprochen, aber trotzdem in der Botschaft recht drastisch gesendet.

Wenn mich nun jemand fragen würde: "Was ist das wichtigste, das man über den Beziehungsaspekt in der Kommunikation wissen muß, würde ich antworten: "Er ist tückisch!" Warum, das wird in den folgenden Abschnitten erklärt.

 
 
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Kontext- und Adressatenabhängigkeit 

Beziehungsbotschaften sind sehr schwer zu formen oder zu kontrollieren, weil sie gewissermaßen sehr instabil, d.h. kontextabhängig sind. In Abhängigkeit von der Situation und dem Kommunikationspartner variieren sie in ihrer Bedeutung. Die Beziehungsbotschaft des Ausrufs "Bier her" könnte gegenüber einer Person, die man sehr gut kennt, als - nicht sonderlich origineller - Scherz verstanden werden, gegenüber Unbekannten ist sie ein Affront. Genauso im Web: Was einem Besucher humorvoll erscheint, wirkt auf den anderen geschmacklos, was einer als angenehm-sachlichen Stil empfindet ist für den anderen nüchtern, distanziert und langweilig. Genauso ist die übliche "Sie sehen unsere Seiten am besten mit..." Begrüßungslitanei nur für manche Menschen eine Unverschämtheit, für gestandene Web-Profis ist sie kein Problem. Es gibt also keine präzisen, sicheren Standards, an denen man sich beim Senden von Beziehungsbotschaften orientieren könnte, sie sind deshalb fast immer vage und mehrdeutig.

 
 
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auf anderen Kanälen

Der Beziehungsaspekt der Kommunikation kann mit dem Inhalt eng verbunden sein, oft wird er jedoch über andere Medien oder Kanäle vermittelt. In einer Gesprächssituation werden z.B. durch die Wortwahl, den Gesichtsausdruck, die Sprachbetonung und die Gestik Dinge ausgedrückt, die mit der primären Bedeutung des Gesagten nichts zu tun haben müssen. Sie können sogar die eigentlichen Inhalte in ihr Gegenteil verkehren. Nehmen wir z.B. an, die Bedienung zeigt sich zickig und reagiert nicht auf Ihren forschen Zuruf. Sie sprechen sie also erneut an, diesmal betont langsam und mit zuckersüßer Stimme: "Würden Sie bitte die Liebenswürdigkeit besitzen und mir ein Bier bringen?" Der wortwörtliche Inhalt ist diesmal eigentlich frei von negativen Beziehungsbotschaften, aber die Wortwahl und die Betonung sorgen dafür, daß Sie der Bedienung jetzt noch unsympathischer werden - nicht sehr geschickt, wenn man Durst hat...

Nun hat eine Website natürlich keine Mimik, Gestik oder Sprachbetonung. Es gibt jedoch andere Informationen, die Beziehungsbotschaften senden, z.B. 

  • der Jargon (Sprachstil und Wortwahl) 
  • die Farben 
  • die Typographie 
  • die Grafiken
  • die Anordnung von Informationen (was kommt zuerst, was zuletzt)
  • die Hervorhebung von Informationen (was ist wichtig/unwichtig?)
  • die visuelle Ausgestaltung 
Aber können denn z.B. simple Grafiken oder Farben Beziehungsbotschaften kommunizieren? Sie können, denn sie wurden mit einer bestimmten Absicht ausgewählt, und auch wenn wir sich weder Sender noch Empfänger diese Absichten immer bewußt machen, waren oder sind sie vorhanden und wirksam. In meinem persönlichen Farbwörterbuch bedeutet z.B. quietschbuntes Gezappel: "Wir sind hipp!" und ein mattschwarzer Hintergrund : "Wir sind cool!". Jetzt fragen Sie mich nicht, was "hipp" und "cool" genau bedeuten, jedenfalls bin ich mir sicher, daß die Gleichungen Hippheit = Buntheit und Coolness = Schwarzness stimmen - jedenfalls so einigermaßen. Und mit einer hippen Website verbinde ich andere Erwartungen als mit einer coolen (in beiden Fällen übrigens keine sehr positiven). Weiter: Gestalterische Kargheit sendet genauso eine Beziehungsbotschaft ("Wir sind keine Ästheten, hier geht's nur um Inhalte.") wie überästhetische Design-Wucherungen ("Wir finden es sehr wichtig, daß es hier gaaanz toll aussieht.") Popup-Windows mit Werbung ("Ich möchte 10 Mark im Monat verdienen oder sparen, dabei müssen Sie mir jetzt helfen") oder virtuos programmierte Slide-Hide-Fluschi-Puschi Menues ("Toll, was wir können, bewundern Sie das aber auch, bitteschön").
 
 
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Beiläufigkeit (Empfänger)

Beziehungsaspekte werden oft nur halb-bewußt verstanden bzw. interpretiert, und trotzdem können sie die Qualität einer Kommunikation ganz entscheidend bestimmen. Der Arzt, der uns mit gelangweilter Miene mitteilt, daß unser Skunk-Score über dem kritischen Limit liegt, so daß ein dringendes Patching unserer Exkalibural-Arterie erforderlich wird (heute verschüchtert man Patienten ja in Englisch), erzeugt dumpfe Empfindungen von Angst, Unbehagen und Unterlegenheit. Diese gleichen vom Entstehungsmechanismus her der Verwirrung und dem Unbehagen, das entsteht, wenn ein harmloser Newbie-Surfer eine Website betritt und verständnislos liest, er müsse unbedingt Java enabled, JavaScript installed, Shockwave ingepluggt, die Resolution mindestens auf 800x600 gelöst und einen Version 4.0 Browser zur Verfügung haben. In beiden Fällen wird auf der Beziehungsebene eine für den Sender sehr vergnügliche Asymmetrie im Wissen zelebriert: "Wir wissen Bescheid, und Sie nicht, da sind dann also Sie eindeutig der Dümmere - das gefällt uns." und weiter: "Aber kommen Sie jetzt nur nicht auf den Gedanken, uns zu fragen, Sie sehen ja, was dann passiert..." Also schaut oder hört man sich die Sache an, versteht nichts und  bekommt ganz beiläufig das Gefühl vermittelt, daran noch selbst schuld zu sein. Vielleicht meinen nun einige meiner Leser/innen, das seien schlechte Beispiele, da das ja "nicht so gemeint" sei. Sicher nicht, aber es wird so verstanden, und in der Kommunikation geht es immer um beides: Meinen und Verstehen. 
 

 
   

Beiläufigkeit (Sender)

Was für die Wahrnehmung gilt, gilt auch für das Senden. Wir haben das, was wir inhaltlich sagen möchten, meist relativ gut im Griff, können aber tückischerweise den Beziehungsaspekt der Kommunikation sehr viel schwieriger kontrollieren. Beziehungsinformationen werden also oft nicht bewußt gesendet, und gerade deshalb sind sie ja so interessant: Weil sie mehr über die Gefühle oder Motive des Senders verraten als die sachliche Information selbst. Der dröhnende Internet-Auftritt eines multinationalen Konzerns, der seine Besucher/innen mit einer  Weltkarte nebst Nennung mehrerer Geschäftsfelder nebst Hinweis auf die Existenz Hunderter Filialen in Dutzenden von Ländern zur Erzeugung höchst börsenschwerer Milliardenumsätze begrüßt, ist mit Sicherheit inhaltlich so gewollt. ("Da geben wir unseren Besucher/innen als erstes eine kurze Orientierung über die allerwichtigsten Fakten zum Konzern."). Ob der Beziehungsaspekt dieser Begrüßungsbotschaft ("Wir sind jetzt zuerst einmal 'dran uns darzustellen, und wir sind so groß! Vergiß das nicht, Du kleines Menschlein") auch gewollt ist....? Ich bezweifle es, ich würde sogar meinen, daß man daran einfach nicht gedacht hat. Aber genau das ist dann auch der springende Punkt: Ein multinationaler Konzernriese, der seine Site von Leuten machen läßt, die - mit oder ohne Absicht - meinen, Größe sei das erste, was es zu demonstrieren gilt, hat seine Kommunikation nicht im Griff (und das ist alles als andere als gigantisch).

 
 
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 Zusammenfassung

Fassen wir zusammen: Der Beziehungsaspekt einer Botschaft...

  • wird oft zwischen den Zeilen oder über nonverbale Kanäle gesendet
  • wird oft nicht richtig bewußt wahrgenommen
  • wird oft nicht bewußt kontrolliert gesendet
  • variiert in seiner Bedeutung in Abhängigkeit vom Empfänger, der Situation und dem Kontext, in dem die Botschaft steht
  • beeinflußt die Qualität einer Kommunikation entscheidend.
Das Problem, das ein Sender lösen muß, kann also folgendermaßen beschrieben werden: Er muß eine Botschaft so gestalten, daß der Empfänger das versteht, was er verstehen soll - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auf der Inhaltsebene ist dies nicht immer einfach, es läßt sich dann aber doch in den meisten Fällen zumindest nachprüfen. Auf der Beziehungsebene ist es sehr viel schneller geschehen, daß der Empfänger etwas rettungslos anderes versteht, als eigentlich gemeint ist - die von Mißverständnissen gespickte "Beziehungskiste" heißt nicht zufällig so. 

Wenn man kontrolliert, erfolgreich und zielgruppengerecht kommunizieren möchte, muß man also auch die zwischen den Zeilen und Grafiken und Farben und Bottons verborgenen Beziehungsbotschaften auf einer Website entschlüsseln und gestalten. Und hierfür braucht es kein besseres, ästhetischeres, ergonomischeres Interface-Design, sondern Fertigkeiten wie Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, also Dinge, die man heute mit dem schönen Wort "Soft-Skills" bezeichnet. Hierauf möchte ich im weiteren Verlauf Artikel dieser Reihe noch ausführlich eingehen.

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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