|
Artikel 15 von 34
|
KommDesign.de Texte Kommunikation
(2)
Über das Nicht-Kommunizieren
|
|
Ein "alter" Fehler:
nicht-Kommunizieren
Baustellen-Seiten
nicht-Kommunizieren mit Inhalt
Wie man Fehler findet: Übersetzen in Dialog
|
|
|
|
Gelten eigentlich die alten Modelle
der Kommunikation, die für die Beschreibung alltäglicher
Kommunikationsprozesse entwickelt wurden, auch in den "neuen" Medien?
Im vorigen Beitrag dieser Reihe habe ich dies stillschweigend vorausgesetzt.
Aber: Brauchen wir hier nicht neues Wissen, neue Begriffe und Theorien?
Ist z.B. die Tatsache, daß es im Web von "Connectivity", "Pageviews",
"Plugins" und eigenartigen Akronymen (URL, HTML, CSS) wimmelt nicht
ein Zeichen dafür, daß wir brandneue Konzepte brauchen
- schnellere, coolere, cybermäßigere vielleicht?
Nein, denn Menschen Kommunizieren heute grundsätzlich
nicht anders wie vor 1000 Jahren. Sie haben die gleichen Bedürfnisse
und benutzen auch beim Austausch von Botschaften die gleichen
Verstehensregeln.
Ja, denn wir brauchen neues Wissen, weil sich
das Web als Medium und die Bedingungen der Internet-Kommunikation
von den tradierten Medien und natürlichen Situationen - teils
radikal - unterscheiden.
Wer ignoriert, was sich gehört, läuft also genauso in
die Irre wie der, der meint, man könne nun, da alles neu ist,
einfach so drauflosgestalten und -schwafeln, ohne sich sorgfältig
über die Eigenschaften und die schon vorhandenen Regeln des
Mediums zu informieren. "Das Medium machen doch wir..." Dabei
ist oft nicht leicht zu verstehen, wo und warum alte Regeln durch
neue ersetzt oder eingeschränkt werden. Für eine erfolgreiche
Kommunikation, in der Sender und Empfänger ihre Ziele erreichen,
ist dies jedoch ganz entscheidend. |
|
|
|
Ein
"alter" Fehler: nicht-Kommunizieren
Wie Fehler entstehen, wenn allgemein gültiges Wissen über
menschliche Kommunikation ignoriert wird, kann am Beispiel der
Regel vom "nicht-Kommunizieren" verdeutlicht werden. Das klingt
mysteriös, ist aber eigentlich ganz einfach: Nicht-Senden,
Stille oder Leere im Ablauf einer Kommunikation ist nicht etwa
"nichts", sondern immer "etwas", meist sogar etwas höchst
bedeutungsvolles. Eines der wenigen Beispiele, in welchen eine
Leer-Botschaft eine positive Bedeutung hat, ist dieser:
Wenn ein Säugling mit dem Brüllen aufhört.
Wer es einmal erlebt hat weiß genau, wovon ich spreche:
Obwohl hier buchstäblich "Nichts" gesendet wird, ist die
Bedeutung klar: "Jetzt bin ich zufrieden, ihr seid entlassen."
In der Regel hat nicht-Kommunizieren aber negative Bedeutungen
und ist ein wirksames Mittel, sich unbeliebt zu machen. Ein Tipp:
Wenn Sie einmal das Ziel haben sollten, sich unsympathisch, arrogant,
unhöflich, feindselig darzustellen, dann antworten Sie einfach
nicht, das genügt vollauf - und strengt überhaupt nicht
an.
Dieses uralte, einfache Gesetz gilt nun auch im Web. Es gibt
keine magische Grenze zwischen der realen und der Online-Welt,
die das nicht-Kommunizieren hier zu einem Affront, dort zur Belanglosigkeit
werden läßt. Das ist allerdings vielerorts nicht klar,
und so entstehen dann tödliche (nicht-)Kommunikationsfehler.
Besonders krasse Beispiele hierfür sind Komplettbaustellenwebsites,
unbeantwortete E-Mails und Baustellen-Seiten. Die eigentlich nicht
aber dann eben doch vorhandene Botschaft einer unbeantworteten
E-Mail ist ebenso komplex wie rundum negativ. Wenn man sie
vollständig ausformuliert, gelangt man ungefähr zu folgender
Übersetzung:
Jetzt haben Sie Zeit und Mühe
investiert, um uns eine Nachricht zukommen zu lassen. Das
war dumm, denn wir interessieren uns nicht dafür. Nachrichten,
die uns über E-Mail erreichen, sind für uns genauso
wertlos wie Sie und Ihr Anliegen. Warum wir nicht antworten
verraten wir Ihnen nicht, vielleicht...
- war es zu zeitraubend oder zu mühsam,
- löschen wir E-Mails grundsätzlich,
- gibt es hier niemanden, der für
eine Antwort zuständig ist,
- hat jemand die Mail gelesen aber
einer Antwort nicht für Wert befunden,
- antworten wir nur den anderen und
Ihnen nicht,
- beantworten wir nur E-Mails, von
denen wir uns einen Nutzen versprechen.
Es ist uns aber gleichgültig,
was Sie darüber denken - machen Sie sich Ihren eigenen
Reim darauf.
Sie sind uns gleichgültig.
|
Dem hat man eigentlich nichts hinzuzufügen - außer
vielleicht, daß jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, der
so mit Kunden umgehen würde, achtkantig und völlig zu
Recht gefeuert würde.
|
|
|
|
Baustellen-Seiten
Und die eigentlich nicht aber doch vorhandene Botschaft einer
Baustellen-Seite? Hierzu ein (erlebtes) Beispiel: Ich besuche
die Site eines Fremdenverkehrsverbands, um Informationen über
die aktuellen Fahrpläne des Nahverkehrs abzurufen. Tatsächlich
finde ich auch ein Link, das vielsagend mit "Fahrpläne" bezeichnet
ist. In freudiger Erwartung klicke ich es an - und gerate auf
eine Seite, in der angekündigt wird, daß hier "in Kürze"
die Fahrpläne des Nahverkehrs abrufbar sein werden. Das Ganze
ist mit einer schmissigen Grafik (von einer Baustelle) garniert,
die auch dem letzten hoffnungsvollen Besucher klarmacht, daß
er das, was er erwartet hat, hier eben gerade nicht
findet.
Jetzt haben Sie auf dieses "Fahrplan"-Link
geklickt, und wir haben da gar nichts für Sie vorbereitet
außer diesem Baustellenschild. Das gefällt uns
gut, und wir denken, daß sein Anblick Sie für
den vergeblichen Klick entschädigt - wenn nicht, ist
uns das aber eigentlich egal.
Wir könnten Sie warnen und Ihnen das alles ersparen,
aber wir tun es nicht. Es würde den optischen Eindruck
unserer Startseite verunstalten, und Besuchern, die nicht
darauf klicken, können wir so vorgaukeln, da wäre
etwas. Das ist wichtiger als Ihr Interesse an unserem
Service.
|
Ich muß wohl nicht weiter erklären, daß diese
nicht-kommunizierende Site sich wirksam disqualifiziert hat.
|
|
|
|
nicht-Kommunizieren
mit Inhalt
Es gibt noch abgeschwächte und subtilere Formen des nicht-Kommunizierens,
bei welchen man den Begriff "nichts" durch "nichts Relevantes"
oder auch "nichts Verständliches" ersetzen kann. Das Ergebnis
ist nicht minder schlecht, denn am Ende nehmen die Besucher/innen
von den oft mit viel Aufwand aufbereiteten Informationen eben
genau das auf: Nichts. Die Mühe war - für beide Parteien
- umsonst.
Die erste Variante des nicht-Kommunizierens mit Inhalt, auf die
ich hier eingehen möchte, ist irrelevante Kommunikation.
Im Web baut sie oft auf der Theorie auf, daß das Internet
vorrangig ein Medium zur Eigendarstellung von Firmen, Organisationen
oder Personen sei. "Unsere Besucher/innen suchen genau solche
Informationen, und es ist deshalb zulässig und wünschenswert
Botschaften zu senden, deren Gegenstand wir selbst sind." Das
ist grundfalsch, denn natürlich ist den Besucher/innen völlig
gleichgültig, welche Ziele die Anbieter verfolgen, sie haben
mit ihren eigenen vollauf zu tun. Und von diesen bildet das Lesen
aufwendig zusammengejubelter Informationen über ein Unternehmen
oder seine Produkte bzw. Dienstleistungen nur einen sehr kleinen
und meist nebensächlichen Ausschnitt. Wenn sich eine Site
in ihrem Informationsangebot auf sterbenslangweilige Infos über
die eigene Leistungsfähigkeit, Seriosität und Kundenfreundlichkeit
verläßt, um ihren Besucher/innen etwas zu bieten, ist
das also ein Fehler: Nicht-Kommunizieren durch Irrelevanz. Am
Ende wird gar nichts kommuniziert, weil das verstockte Publikum
das Zeug einfach nicht liest. Und ein zusätzlicher Fehler
liegt hier darin, daß Eigenlob stinkt und daß ein
Kommunikationspartner, der nur über sich selbst spricht und
nicht zuhört, gemieden wird. Das war schon immer so, in allen
Situationen und allen Medien - und es ist nicht "Nichts".
In anderen Fällen werden Inhalte gesendet, sie sind auch
relevant, passen also zu den Zielen des Publikums, aber: sie sind
nicht zu entschlüsseln. Dies kann verschiedene Gründe
haben, in den meisten Fällen ist es eine Folge von unübersetztem
Expertenjargon. Hier z.B. die überaus erhellende Erklärung
des Begriffs "URL" auf einer Seite, die Laien das Internet verständlich
machen soll (die Quelle ist mir leider abhanden gekommen - was
kein Zufall ist):
Ressourcen auf dem Internet werden mit
dem "Uniform Resource Locator" (URL) identifiziert. Die
Syntax des URL wird im "Hypertext Transfer Protocol" wie
folgt spezifiziert:
http_URL = "http:" "//" host [ ":" port ] [ abs_path
]
host = <A legal Internet host domain name or
IP address
(in dotted-decimal form), as defined by Section 2.1 of
RFC 1123>
port = DIGIT
|
.............alles klar?
|
|
|
|
Man könnte sich darüber
streiten, welche der drei Varianten die schlimmsten Folgen hat.
Nehmen wir unbeantwortete E-Mail als zu offensichtliche Katastrophe
einmal aus, dann erscheint das nicht-Kommunizieren durch Baustellen
auf den ersten Blick natürlich am gravierendsten, weil am wenigsten
stattfindet, aber: Es ist zumindest eindeutig, die Message kommt
rüber: "Da ist nichts!" Man weiß sofort, was zu tun ist:
Selbstzufriedenes Blabla oder verklausuliertes Expertendeutsch ist
hinterhältiger, denn es erzeugt die Illusion von Information,
wo eigentlich keine ist. So stochert man dann lustlos im PR-Müll
herum, quält sich durch unverständliche Informationen
und verliert noch so einiges an Zeit - bis man dann endlich bemerkt,
daß man genasführt wird. Und für die Bewältigung
dieser Situation gibt es im Web einen ebenso einfachen wie wirkungsvollen
Trick: die Aufnimmerwiedersehenflucht zu - hoffentlich - besseren
Angeboten.
. |
|
|
|
Wie man Fehler findet:
Übersetzen in Dialog
Weitere Fehler beim Kommunizieren oder nicht-Kommunizieren
kann man ganz leicht mit einer Technik verdeutlichen, die ich
als "Dialogtest" bezeichne. Ich habe sie gerade eben schon einige
Male angewendet. Der Grundgedanke: Alles, was im Web geschieht
daraufhin untersuchen, ob es als Botschaft aufgefaßt werden
könnte, und wenn ja, diese...
- sprachlich beschreiben (oft
werden sie erst dann richtig sichtbar),
- und/oder möglichst direkt in eine natürliche
Kommunikation übertragen,
- auf ihre Angemessenheit prüfen.
Die Übersetzung ist geglückt, wenn
man eine Phrase oder Formulierung findet, die einem natürlichen
Dialog entspricht, daher der Name "Dialogtest" (ich konnte der Versuchung
widerstehen, sie "Talking-Check" zu nennen). Sie ist nicht immer
leicht, denn Kommunikationsfehler werden nicht vorsätzlich
gemacht, niemand posaunt seine Inkompetenz offen heraus. Die meisten
Verantwortlichen bemerken sie nicht einmal, so daß man sie
zwischen den Zeilen wahrnehmen und "herausfischen" muß (hierauf
bin ich im vorigen Artikel dieser Reihe schon eingegangen). Hierbei
kann ein Dialogtest wertvolle Dienste leisten, und wenn man sich
die Technik einmal zu eigen gemacht hat, trifft man auf erstaunliches...
Wenn die Übersetzung gelungen ist,
gibt es oft nicht mehr sehr viel zu prüfen, denn wir haben
eigentlich ein sehr gut trainiertes Gespür für Kommunikationsregeln
(das im Web allerdings leicht von gifs und Pixeln und Flashs und
Javas betäubt wird). So entlarven sich die Fehler dann meistens
von selbst. Hierzu einige einfache Beispiele:
Element(e) |
Übersetzung in Dialog |
E-Mail Formular, in welchem Adresse,
Telefonnummer und Beruf angegeben werden müssen. |
Wir sprechen nicht mit Ihnen, wenn Sie
uns nicht einiges über sich mitteilen, das wir verwerten
können. |
Nur eine einzige anonyme E-Mail Adresse
auf der Site, z.B. "info@" |
Hier gibt es nur einen Briefkasten,
keinen Menschen, der für sie zuständig ist. |
Hochauslösende Grafik auf der Startseite
ohne jeglichen relevanten Inhalt. |
Die Ausschmückung unseres Web-Auftritts
ist wichtiger als Ihre Zeit. |
Übertrieben originell formulierte
Links, deren Bedeutung völlig nebulös bleibt. |
Wir sind kreativ, und wir möchten,
daß Sie das gleich sehen. Funktionalität (und
Ihre Ziele) ist nicht wichtig. |
Wenn Sie den vorigen Abschnitt dieser Artikelreihe
gelesen haben, wird Ihnen auffallen, daß diese Technik vor
allem Beziehungsbotschaften zutage fördert. Das ist
so völlig richtig und auch gewollt, denn hier werden die
meisten Fehler gemacht - und übersehen. Experimentieren Sie
ruhig einmal mit dieser Technik. Es lohnt sich
|
|
|
|
|