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KommDesign.de — Texte — Usability (5)

Scrollen oder nicht scrollen...

 
Internet-Seiten sollten UM GOTTES WILLEN nicht mehr als eine Bildschirmseite füllen, denn die Netz-Gemeinde scrollt nicht. Haben Sie das auch schon gehört? Natürlich. Also: Seiten werden in Häppchen zerlegt, Texte aufs Minimum zusammengestrichen (sonst passt es ja nicht), hübsch aussehen kann es ja trotzdem...

Aber: Stimmt das denn auch, das mit dem Scrollen?

Wenn man unter denjenigen, die dieser Doktrin folgen, eine Umfrage schalten würde, in der sie angeben sollten, woher Sie die Information haben, wären die Kategorien "weiss nicht", "von einem Freund" und "vom Freund eines Freundes, der kennt sich aber wirklich aus" wahrscheinlich gut besetzt. 

Der Urheber ist wahrscheinlich niemand anderer als ER: Jakob Nielsen, der echte und einzige Allround Internet Usability Papst. Anno 1996 war es, da hub er an und sprach: 

"Only 10% of users scroll beyond the information that is visible on the screen when a page comes up."
http://www.useit.com/alertbox/9605.html Link in neuem Fenster öffnen
Yeah! - wenn DAS kein Argument war! Also gut. Lassen wir das jetzt sein, mit den langen Seiten. Aber nur ein Jahr später, 1997, hub er schon wieder an und sprach nunmehr wie folgt: 
"Scrolling Now Allowed" 
http://www.useit.com/alertbox/9712a.html Link in neuem Fenster öffnen

(nebenbei: Der Mann hat Selbstbewußtsein. Als ob er es vorher wirklich hätte verbieten können.)
Und wie immer in der Geschichte der Menschheit: Niemand interessiert sich für ein Dementi. Deshalb hat die Entwarnung das Publikum nicht erreicht und hunderte von Websites bieten ihre Informationen in kleinen Häppchen....
= Link in neuem Fenster öffnen
 
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht. Ich denke, wenn jemand heute dies und morgen das predigt, ohne seine Verlautbarungen durch nachvollziehbare, harte Fakten zu untermauern, ist eine gewisse Vorsicht geboten. Also: Gibt es noch andere Quellen?

Die Profis von "User Interface Engineering" gehen mit dem 1997er Nielsen konform. Dort gibt es einen schönen kurzen Artikel, in dem Vor-/Nachteile längerer/kürzerer Seiten auf den Punkt gebracht werden. Und es heißt dort unter anderem:

Users may tell us they hate scrolling, but their actions show something else. Most users readily scrolled through pages, usually without comment.
http://world.std.com/~uieweb/scrollin.htm Link in neuem Fenster öffnen

Also wie denn nun: Lasset sie scrollen?

Wenn man nicht die Design-Gurus fragt (die ja oft dadurch überzeugen, dass sie aus ihrer ebenso reichen wie nicht verifizierbaren Erfahrung und dem Anekdotenschatzkästlein zitieren) sondern die Wissenschaft, wird die Lage - mmh - unübersichtlich. Mit Hilfe zweier Quellen können Sie sich selbst davon überzeugen:

Harald Weinreich von der Uni Hamburg meint, Scrollen sei nicht zu empfehlen und trägt einige Hintergrundinformationen zusammen, die das stützen. Unter bestimmten Umständen sei Scrollen aber unvermeidlich, dann sieht er 4 Bildschirmseiten als Maximum - immerhin eine Regel, mit der man etwas anfangen kann. Sie finden Sie hier:
http://vsys-www.informatik.uni-hamburg.de/ergonomie/laenge.html Link in neuem Fenster öffnen

Hartmut Wandke und Joern Hurtienne aus Berlin haben in einer - auch sonst recht interessanten - Studie zum Navigationsverhalten von Internet-Anfänger/innen beobachtet, dass 24% von diesen eine Information, die "erscrollt" werden muss, nicht finden:
http://arb1.psychologie.hu-berlin.de/ingpsy/publikationen/Navigation.html Link in neuem Fenster öffnen

Das ist weit von Nielsens 90% aus dem Jahr 1996 entfernt, aber immer noch recht viel (und Anfänger gibt es im Web zuhauf).

Und NUN? Wie ist es denn nun WIRKLICH? Sagen wir es so: Es kommt darauf an. Und mein persönliches Rezept ist: Scrollen ist okay, wenn man etwas zu sagen hat. Dann wird gerne gescrollt - garantiert. 

Die Moral:
1. Es gibt kaum eine einfache Frage, die man nicht durch den Versuch, WIRKLICH gültige Antworten zu finden, in eine lauwarme, breiige Masse verwandeln könnte.

2. Man hüte sich vor einfachen Antworten - vor allem, wenn sie von Gurus gegeben werden.

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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