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Der geheimnisvolle Genion-Check |
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Normalerweise haben Formulare einen
Sinn. Das ist gut so, denn ohne diesen sind Auswahlmöglichkeiten
und Eingabefelder eigentlich nicht zu verstehen - geschweige denn
auszufüllen. Es gibt jedoch auch - wie ich kürzlich zu
meinem Erstaunen feststellen mußte - Formulare, die anscheinend
ganz ohne Sinn und Zweck auskommen, aber trotzdem überaus beeindruckend
funktionieren und aussehen. Einfach so. Man soll es nicht glauben,
doch das Netz (so meine immer wieder aufs Neue bestätigte demütige
Erkenntnis), das Netz in seiner Größe ist unergründlich.
Wie geht es los? Ich suche Informationen über Handies. Ob
die Telekom solche vertreibt, weiß ich nicht, was ich allerdings
weiß ist, daß ihre Website der schlechteste Ort ist,
um das herauszufinden. Nach einigen erfolglosen Versuchen bei
Anbietern, deren Namen sich auf eigenartige Weise gleichen (allesamt
Gemische aus Com-, Inter-, Tele-, Line-, Net-, Call-, Phone-),
und deren Tarifgestrüpp mit den gleichen Wörtern (zuzüglich
Day, Night, by, off, on, free, in und out) durchsetzt ist, bleibe
ich schließlich auf der Site der "Viag Interkom" hängen.
Warum gerade hier? Nach vollbrachtem Aufbau der Startseite, der
durch eine dynamische Animation schön eingeleitet und untermalt
wird, gibt es etwas, das die anderen nicht haben:
Sie!
Drohstarren
nennt man das übrigens in der vergleichenden Verhaltensforschung.
Man sollte die Dame unbedingt davor warnen, diesen Blick
auf einen Hund abzufeuern - er wird sofort zubeißen.
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Mein Atem stockt, und mir wird schlagartig klar: "Sie
will mich! Jetzt und hier und gleich! Und Sie will schlimme,
sehr schlimme Dinge mit mir tun..."
Wow!
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Screenshots vom 30.11.2000 |
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Der Trick ist ja nun wirklich uralt,
aber bei mir funktioniert er immer: Meine Hypophyse qualmt unter
dem Blick der rassigen Schönen und setzt Hormone frei, die
meinen ansonsten extrem kritischen und abgeklärten Verstand
völlig ausschalten. Ich bin für kurze Zeit willenlos,
und da ich die Verhaltensweisen, die meiner Hypophyse vorschweben,
schlecht realisieren kann, beginne ich schließlich doch, das
Angebot zu studieren. Dabei fällt mein Blick zuerst dieses
Textfeld:
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Sprachlich nicht so
ganz stolperfrei, aber ein Handy, das zu festen Festnetztarifen
Hause zu Tarifen zu und mobilen zu Funktarifen unterwegs
zu funktioniert, ist eine interessante Sache. Klicken wir
auf "Genion"! |
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Eine neue Seite baut
sich auf, und das hier zu sehende Männlein begrüßt
mich in freundlichem Kundengelb. Ich werde außerdem
darüber aufgeklärt, Genion, das sei das "Handy
mit den Häuschen". |
Ich bin jetzt auch schon völlig aus demselben und begierig
mehr zu erfahren. (Meine Hypophyse quengelt zwar, sie will wieder
zurück zu der Dame auf der Startseite, aber: Nichts da! Wir
informieren uns! Beim ersten Überfliegen der neuen Seite
bleibe ich sofort an dieser Information kleben.
"Genion Check"? Das klingt interessant. Ich weiß zwar nicht,
was da gecheckt wird (mein IQ?, mein Kontostand?, meine Reaktionsschnelligkeit?,
Englischkenntnisse?, Persönlichkeitsreife?, Allergien?, Vorstrafen?)
aber einen Genion-Check, das sagt mir mein Gefühl, sollte
man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Am Ende werde ich es
vielleicht bereuen. Also: Nächster Klick auf "Genion Check
Online".
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Das Ergebnis läßt jetzt schon ein wenig auf sich warten.
Aber dann erscheint schließlich eine Seite, die mit Sicherheit
etwas bedeutet - so sieht sie jedenfalls aus und sonst wäre
sie wohl auch nicht da. Und sie scheint auch für alle Eventualitäten
bestens gerüstet, allerdings schweigt sie sich hartnäckig
darüber aus, was der Genion Check ist: Jedenfalls kann ich
es nirgends erkennen, und die Konstrukteur/innen dieser Seite
halten ihn anscheinend für so selbstverständlich, daß
er einer Erklärung nicht Wert ist.
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Besonders interessiert mich zunächst die Deutschlandkarte
oben links, die mit den Pfeilen. Es scheint sich um ein wichtiges
Modul des Genion-Checks zu handeln. Und tatsächlich: Wenn
man die Pfeile mit dem Mauszeiger anfährt, erscheinen dort
kleine Schriftzüge, die benutzerfreundlicherweise erklären,
daß es hier "nach Süden" oder "nach Norden" geht -
was das bedeuten soll, wissen sie aber leider nicht zu sagen.
Ich kann es ihnen nicht verdenken, denn mir geht es genauso
- und daß Norden in aller Regel im Norden ist, wußte
ich eigentlich schon. Draufklicken mag ich nicht, denn dann baut
sich die ganze Bescherung vielleicht noch einmal auf und ich bin
wahrscheinlich auch nicht schlauer.
Der geheimnisvolle Entfernungsanzeiger über der großen
Karte genioncheckt irgendwie auch nicht so recht. Oder ist das
vielleicht schon das Ergebnis? Zeigt mein persönlicher Online
Genion-Check jetzt "1000km" an und ich könnte mit meinem
Genion - hmm - 1000 Kilometer weit telefonieren? Und danach ist
Schluß? Ich weiß nicht so recht...
Die große Karte zeigt an, in welchen Bereichen das Viag
Interkom-Netz ausgebaut ist (dunkle Flächen) und wo man es
mit ihrem "Roaming-Partner" zu tun bekommt (hellblaue Flächen).
Ist das vielleicht der Genion-Check? Wenn ja: Was soll das? Ich
kann mit Viag Interkom oder Roaming-Partner telefonieren. Macht
das einen Unterschied? Kostet das eine mehr als das andere? Ist
die Qualität unterschiedlich? Dauert die Verbindung länger
oder kürzer? Und: Was ist ein "Roaming-Partner" überhaupt?
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Anscheinend habe ich keine Wahl: Ich
muß meine Adresse angeben und auf "Suchen" klicken. Ersteres
tue ich ja eigentlich nicht so gerne, wenn ich nicht weiß
wozu und was mit meinen Daten geschieht. Letzteres - das Suchen
- bleibt mir von der Bedeutung her irgendwie nebulös. Was
denn suchen, bitteschön? Die werden doch jetzt nicht auf
die Idee kommen, mir auf der Karte die Lage meines Wohnortes anzuzeigen...?
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Aber meine Neugier
nimmt zu und quält mich: Ich muß wissen,
was dieser vermaledeite Genion-Check ist, und wenn
es das letzte Formular ist, das ich im Leben abschicke.
Also: Adresse eintippen und weg damit!
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Das Ergebnis läßt auf sich
warten, aber es lohnt sich. Schauen Sie: |
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Die A5 ist die hiesige Autobahn-Trasse,
B3 und B47 sind Bundesstraßen, die durch meinen Wohnort
führen, "Bergstraße" ist der Name der Region.
Mehr verstehe ich nicht. Die anderen Kürzel gehören
wahrscheinlich auch zu irgendwelchen Straßen.... |
Was soll jetzt das? Ist das der Genion-Check? Oder schon das
Ergebnis? Ich weiß es nicht. Aber es gibt anscheinend mehr
davon, denn am Seitenanfang prangt dies:
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Allerdings kann ich mich nun nicht
recht entschließen, eines dieser Links anzuklicken. Weder
die "Neue Suche" noch eine der gelisteten Straßen. Stattdessen
halte ich an dieser Stelle inne und ziehe Bilanz:
1. Ich suche ein Handy.
2. Ich gelange zu Viag Interkom.
3. Ich werde auf ein besonderes Produkt aufmerksam gemacht
4. Ich werde aufgefordert, einen "Check" zu machen, der
mit dem Namen des Produkts verknüpft ist,
5. Ich gelange auf eine aufwendige Seite mit einer Karte
und mehreren Bedienungselementen und Anzeigen, deren Funktion
und Bedeutung sich mir völlig entziehen.
6. Ich gebe veruchsweise einmal meine Adresse ein.
7. Ich erhalte als Feedback die Kürzel der hiesigen
Hauptverkehrsstraßen, anklickbar als Hypertext-Link...
Anders gesagt: Auf einem Formular, das ich nicht verstehe, habe
ich eine Eingabe gemacht und abgeschickt, obwohl ich nicht recht
verstehe, wozu. Das Ergebnis, das ich nicht verstehe, bietet mir
die Möglichkeit mehr unverständliche Ergebnisse zu sehen
oder eine neue Auswahl zu treffen, die ich nicht verstehe, um dann
neue Ergebnisse zu sehen, die ich wahrscheinlich auch nicht verstehen
werde. Und nun kann ich weitermachen um zu sehen, wie es weitergeht
- oder aufhören. Da fällt die Entscheidung leicht.
Und jetzt beschleicht mich ein Gefühl: Der Genion-Check
prüft, wieviele sinnlose Formulare, fehlende Instruktionen
bzw. Erklärungen und verquast gestaltete Interface-Elemente
man aushält. Und "Genion" ist nicht nur ein Handy, sondern
auch eine Maßeinheit für geduldiges Schlachtvieh-Benutzerverhalten.
Ein Genion (Abgekürzt "G") entspricht der zweimaligen Betätigung
eines völlig funktionslosen Buttons mit der Aufschrift: "Hier
klicken, dann tut sich 'was..." Und in dieser Skala haben wir
gerade 6-7 G überlebt.
Wenn der Vertrieb bei Viag Interkom auch nur annähernd so
schlecht gemacht ist (das muß man ja wohl fürchten),
werde ich es wohl nicht kaufen können, das Genion, und selbst
wenn, ich würde es wohl nicht bedienen können, und selbst
wenn, es würde wohl nicht funktionieren. Ich beschließe
also Kraft meines Amtes als Kunde, daß Viag Interkom den
Genion-Check nicht bestanden hat.
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Epilog
Sie meinen, Viag Interkom sei an all dem Schuld und habe dieses
Genion-Gerümpel einfach schlecht gestaltet und erklärt?
Stimmt nicht. Ich bin Schuld, denn mein vom Web völlig
versautes visuelles System hat an der entscheidenden Stelle
nicht mit der Sorgfalt gearbeitet, die man von einem mündigen
Kunden erwarten kann. Und deshalb habe ich zu hastig geklickt.
Viag Interkom erklärt nämlich so einigermaßen
und im Prinzip und ungefähr schon, was Sache ist. Die entscheidende
Passage findet sich unter dem Link, das zum Genion Check führt
(die rote Hervorhebung habe ich nachträglich eingefügt!):
Daraus können wir wieder zwei schöne Inkompetenzregeln
ableiten:
Erstens: Wenn Sie möchten, daß Ihre Besucher/innen
nicht wissen worum es geht und orientierungslos im Formular-Nebel
herumstochern, schreiben Sie wichtige Erklärungen immer als
Fußnote in respektvoller Entfernung unter die entscheidenden
Bedienungselemente, niemals darüber und deutlich hervorgehoben.
Sie könnten sonst gesehen und verstanden werden.
Zweitens: Seien Sie niemals so konkret und ausführlich,
daß Ihre Besucher/innen wissen, worum es geht. Der Umsatz
Ihrer Produkte wird sich entspannen, und im harten Business ist
das ja auch eine Art Erfolg.
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