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KommDesign.de — Galerie — schlechter Empfang

Biologische Kampfführung
 
Für die menschliche Aufmerksamkeit ist das Web eine absurde Welt. Da kommt es allenthalben vor, dass Dinge, die für unsere Handlungsziele völlig irrelevant sind, eine 3.000 bis 4.000fach höhere Zugkraft haben als das, was uns interessiert - ungefähr so, als würde man eben mal so eine Motorsäge anwerfen, um sich ungestört unterhalten zu können. Was da allenthalben geblinkert und high gelighted wird, gehört leider allzuoft - bestenfalls - in die Kategorie nutzloser Plunder, wie z.B. aufpoppende Werbebanner oder News-Ticker. Letztere sind ein Element aus der frühen Kreidezeit der Internet-Animation, das sich leider immer noch hartnäckig weigert auszusterben. Ich plädiere deshalb ja schon seit längerem für einen Führerschein für den Umgang mit Motorsägen - pardon, "biologischen Signalreizen", wollte ich natürlich sagen, aber niemand hört zu, keiner schaut hin. Wahrscheinlich liegt es daran, dass mir die richtigen Eye-catcher fehlen, um meinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen. 

Der enthemmte Umgang mit Eye-catchern ist jedenfalls nicht zu empfehlen. Und er wirkt besonders befremdend, wenn sich Anbieter im Web präsentieren, die ansonsten vor grau-langweiliger Seriosität strotzen. So unterhält beispielsweise das heißblütige Debis Systemhaus eine Startseite, auf der es gleich zu Beginn so richtig biologisch catchend zur Sache geht Hier ein verkleinerter Eindruck der Startseite:

Startseite Debis
 
(Screenshots vom 26.11.2000)
 
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Ich habe gleich die ganze Seite wiedergegeben, um zu verdeutlichen, wie riesig die signalrot schwellenden Begrüßungslippen sind. Hier der Original eye-catcher noch einmal in Originalgröße:

große rote Lippen

Wahnsinn! Und damit nicht genug, denn die undezent aufgeblendete Sexualität (oder geht es hier um gefressen werden?) wird unvermittelt durch weitere Geschehnisse abgelöst: Es bewegt sich, zappt und zuckt, verändert sich...

Gesichter werden übergeblendet

und endet hiermit:

viele Gesichter

 

 
 
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Auch nicht schlecht, mir gefällt das ja, so eine direkte Art. Das sind sie also, die Menschen, die die Zukunft gestalten.

Gut. Jetzt ziehen wir einmal Zwischenbilanz. Wir haben wir also:

  • einen starken sexuellen Reiz (oder Gefahrenreiz?)
  • leuchtend rote Farbe
  • Bewegung (Ein- und Ausschalten der farbigen Rechtecke)
  • hohe Farbsättigung
  • Gesichter
  • Augen...
  • ...die den/die verblüffte/n Betrachter/in obendrein noch direkt fixieren

Ich sträube mich ja eigentlich ein wenig gegen gewalttätige Metaphern, aber hier kann man ohne Übertreibung sagen: Debis hat mehrere Kilo visuelles TNT gezündet, um unsere Aufmerksamkeit in stabile Bahnen zu lenken. Wer dieses Getöse nicht beachtet, muss die Grafik im Browser ausgeschaltet haben (Glück gehabt!) oder völlig abgestumpft oder einfach tot sein.

Ach ja, war da nicht auch noch Text? Und da der hübsch hin- und herzappt, kann ich zusammensetzen:

Wir möchten mit Ihnen über die Zukunft reden, und über die Menschen, die sie gestalten.

Wirklich? Die möchten also mit mir über die Zukunft reden? Das ist spannend. Die Sache scheint auch dringend zu sein, denn sonst würde diese Botschaft doch nicht mit einem derartigen Spektakel verkündet. Also gut, Ihr Debisse, ich glaube es Euch. Und ich bin beeindruckt, denn wer so viel unternimmt, um mit mir über die Zukunft zu reden (nicht zu vergessen, die Menschen, die sie gestalten), der will wirklich etwas von mir.

 
 
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Nachdem ich beim zweiten Hinsehen den Text auf der Startseite gelesen habe, kommen mir allerdings doch gewisse Zweifel:

Weder Klaus Mangold noch einer der 27.000 Mitarbeiter des Mergers - was zur Hölle ist das? - der weltweiten Finanzdienstleistungen aus den 184 Standorten in den 35 Ländern scheint sonderlich kontaktfreudig. Immerhin habe ich bei der Gelegenheit gelernt, dass Debis unter dem Dach von DaimlerChrysler in dynamischen Zukunftsfeldern global positioniert ist, und obendrein hochwertige Dienstleistungen, erstklassige Unterstützung, branchenspezifisches Know-how und ganzheitliche Lösungen sein eigen nennt. Achten Sie besonders auf den zweiten Absatz. Er besteht aus einem einzigen Fünfzig-Wort-Satz! So ein Exemplar ist außerhalb der Werke von Hegel und Schopenhauer gar nicht leicht aufzutreiben.
 
 
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Das war also nichts. Ich halte Ausschau – irgendwo muss es hier eine Gelegenheit geben, angeregt über die Zukunft zu sprechen. Jobangebote, Foren, Diskussionen, Texte, Visionen, interaktive Formulare, Kommunikation..... Da! Das Link auf der oberen Navigationsleiste verspricht "Dialog".

Link "Dialog"

Das muss es sein – Huhuu! Debis! Ich komme!

Klick.

Nanu? Von Zukunft und Menschen steht hier kein Wort. Und die Sache sieht auch eher so aus, als ob ich mit denen reden sollte, dabei wollten doch sie mit mir? (Das meinten jedenfalls die roten Lippen auf der Startseite). Ich habe aber - leider - keine Fragen, mein Bedarf an gerne geschickten Geschäftsberichten ist bis auf weiteres gedeckt, und auch das Angebot einer Online-Bestellung von Broschüren lässt mich eher kalt.
 
 
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Okay. Ihr wollt also anscheinend gar nicht mit mir sprechen? Dann will ich jetzt mit Euch sprechen, und zwar über – mmh – eine Versicherung! Wer eine derart schlechte Kommunikation macht, hat bestimmt prima "financial services". Ich mache mich also auf den Weg, um etwas über erstklassige Unterstützungen, branchenspezifisches Know-how und dynamische, zukunftsweisende Lösungen in Sachen Haftpflichtversicherung zu erfahren...

Ein banales Vorhaben, das sich als schwieriger erweist, als ich dachte. Ich möchte Ihnen die zeitraubenden Details ersparen, auf der folgenden Grafik sehen Sie meine Odyssee durch das ganzheitliche Informationsgestrüpp handlich zusammengefasst:

 
viele Fenster in klein, durch die ich mich hindurchgeklickt habe

 

Nach nur 4 Mausklicks bin ich anscheinend schon am Ziel. Ich finde zwar nicht das, was ich eigentlich gesucht habe (Produktinformationen, Preise, Konditionen), aber immerhin "meine" Ansprechpartner (auf der Grafik unten rechts schön zu sehen). Prima! Vielleicht kann ich mit denen dann sogar über die Zukunft reden, und die Menschen, die sie gestalten?

Vier Mausklicks später ist meine Reise zu Ende, und ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Und auf die hat irgendjemand die Telefonnummer der Debis-Niederlassung in Frankfurt geschrieben. Wie sagt das Sprichwort?

Die Berge kreißen...
                                                                        ..und gebären eine Maus

"... nach acht Klicks mit derselben", möchte man hinzufügen.

Was ich gesucht habe (nämlich so triviale Dinge wie Produkt- und Preisinformationen), ist hier nicht zu sehen - und auch sonst unauffindbar.

Jetzt würde ich aber wirklich gerne mit Debis über die Zukunft reden.

Und noch ein Tipp: Unterlassen Sie es, Slogans zu highlighten, die im Web eine ganz andere Brisanz haben als in einer Print-Anzeige. "Sprechen Sie mit uns", das ist in allen tradierten Medien völlig unverfänglich. Kein Mensch kann mit einer Anzeigenwand, einem Prospekt, einem Radio- oder einem Werbespot wirklich in einen "Dialog" treten. Anders im Web, denn hier kann ich es sehr wohl, hier kann ich das Geklingel beim Wort nehmen, hier ist die Distanz zwischen der Aufforderung und dem Tun gleich Null, zumindest könnte es so sein - und auf einer guten Website ist es auch so.

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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