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KommDesign.de Galerie schlechte
Inhalte
Abenteuer tiefgekühlt |
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Solange die Virtual-Reality-Bastler
keine wirklich durchschlagenden Erfolge verzeichnen, sind bestimmte
Produkte und Dienstleistungen für den Verkauf im Web eher
ungeeignet. Besonders fatal ist es, wenn der Gebrauch der Produkte
den Einsatz von Sinnesorganen verlangt, für die es keine
Online-Anschlüsse gibt. So werden Websites sicherlich noch
für Jahre geruch- und geschmacklose Medien sein (obwohl:
letzteres gelingt ja in vielen Fällen schon jetzt... aber
lassen wir die Wortspielerei). Vielleicht gibt es irgendwann
einmal kleine Zerstäuberchen am Monitor, mit deren Hilfe
online feilgebotene Autos endlich diesen charakteristischen
brieftaschenerweichenden Neuwagengeruch verströmen können?
Oder man erfindet ein Gusto-Pad, das den Geschmack von Kaffee,
Gummibärchen oder meinetwegen auch Schweinsbraten mit Sauerkraut
auf die Zungen der Surfergemeinde projiziert? Ja, man gerät
ins Träumen. Am Ende steht dann vielleicht der frei programmierbare
Molekularmanipulator auf lasergesteuerter Materie-Antimaterie-Basis,
und wir werden eine "Quattro Stagioni" aus dem Schacht
des Pizzabrenners auswerfen können, Ladezeiten für
eine Tafel Rum-Trauben-Nuss berechnen, eine Portion Sahne für
unser Cybereis downloaden - und endlich an SPAM-Mail Versender
einen ganz echten, zwei Gigabyte großen Haufen Hundeköttel
verschicken. Vielleicht wird es einmal so sein, in ferner Zukunft.
Noch ist es nicht so weit.
Im Web können sich die Food-, Touch- und
Smell-Industrien also nicht auf ihre Kernkompetenz verlassen und
einfach nur gut backen und kühlen und brühen und mischen
und kneten. Sie müssen sich mit dem begnügen, was mit
Wörtern gesagt und mit Bilder gezeigt werden kann. Und mich
versetzt es immer wieder in ungläubiges Staunen, dass es
Leute gibt, die sich nicht entblöden, ihren Besuchern eine
geistige Nulldiät zu verordnen (und das dann auch noch im
Brustton der Überzeugung), obwohl sie andererseits sehr wohl
wissen, dass ihre Kundschaft beispielshalber keine strohgefüllten
Pralinen isst. Es wimmelt von solchen Hallo - hier - sind - unsere
- Produkte - sind - sie - nicht - prima - bunt - verpackt - und
- das - war's - auch - schon - denn - sonst - fällt - uns
- jetzt - leider - nichts - mehr - ein - Websites.
Ein schönes Beispiel ist das Online-Angebot,
das von der Fa. Nestlé betrieben wird, um ihren Kunden
eine markendialoginteraktive Erlebniswelt rund um das spannende
Thema "Schöller-Eiskrem" zu bieten (unter www.schoeller.de).
Ich habe mich dort kürzlich eine Viertelstunde aufgehalten
- und die Site mit dem Gefühl verlassen, nur selten 15 Minuten
meiner Lebenszeit so völlig nutzlos aus dem Browserfenster
geworfen zu haben. Zunächst sieht die Sache eher harmlos
aus, etwa so:
Screenshots vom 7.03.2003
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Schön. Keine vollgestopfte Starsteite nach dem Motto: "Hier
haben wir alle Links auf einmal untergebracht und es stört
uns überhaupt nicht, dass Du nichts damit anfangen kannst".
Nein, alles sehr übersichtlich, der fleischfarbene Weg direkt
ins kalte Eisvergnügen
lockt mich an (nebenbei: ob es auch ein warmes Eisvergnügen...?
aber lassen wir die Wortklauberei). Wer weiß, vielleicht
haben die es ja doch irgendwie geschaft mit dem Produktbeamer
und ich kann gleich ein echtes, leckeres Eis schlecken? Mir läuft
schon einmal vorbeugend das Wasser im Mund zusammen.
Allerdings gerät der Speichelfluss unvermittelt ins Stocken,
als meine spezielle Benutzeroberflächenaufmerksamkeit von
dem eisblauen Bedienelement abgelenkt wird, das ich in meiner
persönlichen Namensgebung spontan auf dem Namen "komisches
Dingsbums" taufe. In Wirklichkeit heißt es sicherlich
anders, zum Beispiel ... mmh ... "Navigatronic-Control-Panel"?
Ja, ich bin sicher, dass das komische Dingsbums wirklich so einen
ähnlichen Namen hat:
Wozu mag das wohl nur sein? Ich spiele zunächst einmal etwas
lustlos mit dem runden Slider-Knöfchen herum. Wird jetzt
Musik eingeblendet? Oder das Farbenspiel der Website ändert
sich? Oder wird es vielleicht kühler im Zimmer? Alles erscheint
möglich... Das Ergebnis ist hier zu sehen.
Wo vorher nur ein virtuelles Lämpchen glühte, sind
es jetzt fünf, und das ist die einzige Veränderung,
die ich wahrnehmen kann. Schön! Ich weiss zwar immer noch
nicht, was das bedeuten soll, aber ich habe immerhin schon einmal
etwas erreicht, und das verschafft mir immer eine tiefe Genugtuung.
Ich starte nun eine längere Versuchsreihe, um die wahre Funktion
des Systems zu ergründen (vielleicht gehört das jetzt
schon zu der Entdeckungsreise,
von der auf der Startseite die Rede ist?).
Das Ergebnis: man kann durch Anklicken der nach oben und unten
bzw. rechts und links weisenden Dreiecke die Inhalte auf der Seite
sprungweise nach oben und unten bzw. rechts und links bewegen.
Hätten Sie es geahnt? Es handelt sich hier also um eine innovative...
... customizebare Content-Scrolling-Navigatronic!
Mit dem Slider läßt sich die Sprungweite individuell
regeln. Ich finde, das ist alles in allem eine ausgezeichnete
Idee, denn die langweiligen grauen
Scroll-Balken, mit denen wir täglich stundenlang auf grauen,
langweiligen Websites herumrutschen, sind doch letztlich
Freudentöter, ungefähr so sexy wie Feinripp-Unterhosen.
(Lachen Sie nicht! Man kann mit Sicherheit annehmen, dass in den
Meetings auf dem Weg zur Abnahme und Bezahlung der customizebaren
Scrolling-Navigatronic tatsächlich solche Argumente vorgetragen
und auch angehört wurden.) Eine solche Navigatronic in markenkonformem
Eis-Gel-Look ist ja schon für sich genommen einen Besuch
wert gewesen. Damit keine Verwechslungen aufkommen, kann man die
normalen Scroll-Balken auf der Website nicht bedienen. Das ist
auch gut so, ansonsten würden die Besucher wahrscheinlich
einfach das tun, was sie von den ca. 3,5 Milliarden anderen Websites
gewöhnt sind (nämlich "einfach so" scrollen),
und dann würde die Navigatronic möglicherweise nicht
genutzt und das wäre wirklich schade.
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Aber lassen wir es genug sein, denn ich wollte ja eigentlich
direkt in kalte Eisvergnügen.
Die Navigatronic im Anschlag geht es nun in die lockende Mövenpick
Welt ...
Worin man nach einem Klick auf den fleischfarbenen Verführungsslogan
eintaucht, ist allerdings weder direkt noch Eis, geschweige denn
Vergnügen. Ich würde es eher das kalte Grauen nennen
- immerhin: die Temperaturangabe ist ja produktkonform. In einem
Punkt muss man dem schmissigen Einladung immerhin Recht geben:
man erlebt allerlei Überraschungen. Ich bin eigentlich kein
Freund großformatiger Grafiken, doch die erste Station auf
meiner Entdeckungsreise ist es schon wert, annähernd in Originalgröße
angezeigt zu werden (Leserinnen und Leser mit einer langsamen
Internet-Verbindung bitte ich vielmals um Entschuldigung). Aber
es lohnt sich:
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Ich kann mich nicht genau entsinnen, doch beim ersten Betrachten
dieser köstlichen Komposition aus ebenso nahrhaftem Inhalt
wie leckerem Farb- und Formenspiel muss mein Mund wohl reflexartig
offengestanden haben. (Ich schätze, dass man ein Panna Cotta
Orange inklusive der Orangenschnitze hätte unbeschadet hineinrammen
können.)
Nun mal im Ernst: Ist das eine "Entdeckungsreise"?
Damit soll ich "viel Spaß!"
haben? Ein Produktbild mit drögem Genießer-Slogan?
Natürlich nicht, denn man kann als abenteuerlustiger Benutzer
noch das Dreieck in der Text-Box anmausen, und dann geschieht
etwas ebenso interaktives wie überraschendes! Die Farbe der
Box wechselt und man gibt den Blick auf einen neuen Text frei,
der ungeahnte Einsichten vermittelt.
Betrachtet man die Sache etwas genauer, muss man allerdings zugeben,
dass der Zugewinn an Information durch die zweite Textbox doch
eher dünn ist. Aus "feinster Eiskrem" wird "zarte
Fruchteiskrem", aus "exotischer Fruchtfüllung"
werden "Fruchtstückchen", und das ein- und ausleitende
Jauchzen ("Was für ein Dessert!" ... "hat
es noch nie gegeben.") entfällt zugunsten der aufrüttelnden
Mitteilung, dass die ganze Bescherung von "Milchcreme umhüllt"
ist. Und was "Panna Cotta" überhaupt ist, weiß
ich übrigens immer noch nicht.
Eigentlich wäre meine Entdeckungsreise hier zu Ende gewesen
- zumal ich mich mit den angebotenen Alternativen nicht so richtig
warm werden konnte...
Gianduja? Chocolat!, das
ist so eines der typischen produktweltinspirierten Hypertextlinks,
die dem Betrachter auf der Stelle jede Hoffnung rauben, er könne
etwas finden, das ihn interessiert. Um das Bild abzurunden würde
ich vielleicht noch ein Juchheissassa!
ergänzen.
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Aber ich gehe den Dingen gerne auf den Grund - wie grauenvoll
sie auch sein mögen. Und ich kann Ihnen versichern, dass
sich das Schöller-Abenteuer im wesentlichen hierauf beschränkt:
Bilder verschiedener Eissorten können betrachet und passend
dazu getextete Slogans mental geschleckt werden. Und das ist doch
eine gute Idee? Sicherlich: Zehntausende Internetnutzer stürmen
die Website von Schoeller-Eiskrem, um Antworten auf ihre drängenden
Fragen zu finden. Etwa so:
Ich habe mich schon oft gefragt,
ob Gott wirklich existiert und ob es es etwas karamelligeres
als "La Crema Caramelita" von Schöller gibt. |
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Aha! Nach dieser Nachricht
kann man die zweite Frage wohl verneinen. Das ist schon einmal
ein Fortschritt (und das andere kriege ich auch noch 'raus). |
Meine Kinder haben mich gefragt,
ob dieses "Creme Vanilla" von Schöller ein
Vanilleeis Ist, das Vanille enthält. Ich habe ihnen nicht
antworten können - peinlich! |
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Ja! Ich hatte ja schon so einen
vagen Verdacht. Aber nun weiß ich es gewiss und kann
es meinen Kindern weitersagen. Ein gutes, sicheres Gefühl
gibt mir das. |
Lezte Nacht habe ich lange
wach gelegen und über die Frage gegrübelt, ob "Bacio
die Chocolata" auch Makronenstückchen enthalten
mag. Das war schlimm. |
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Aha! Es scheint so zu sein.
Danke für die Information!. |
Ganz im Vertrauen: Schmeckt
dieses "Sorbea" von Schöller möglicherweise
nach gefrorenem Badeschwamm? |
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Hm, anscheinend nicht.
Gut zu wissen.
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Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich enthalte
mich hiermit ausdrücklich eines Urteils über die Qualität
oder den Geschmack der Produkte der Fa. Nestlé. Ich habe
auch keinen einzigen der Kraftausdrücke hier aufgeschrieben,
die mir beim Besuch der Site durch den Kopf gegangen sind. Allerdings
lasse ich mich zu der Schlussfolgerung hinreißen, dass Kommunikationsstrategien,
die eigentlich für die Warenpräsentation auf einer Verpackung,
in einer Eistruhe oder die Grabschzone an der Supermarktkasse
entwickelt wurden, nicht unbedingt 1 : 1 auf das Web übertragen
werden sollten. Das inspiriert mich zu einem kleinen Merkspruch
für den Entscheider in der Food-Industrie:
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Bleibt abschließend noch zu ergänzen, dass man auf
schoeller.de auch an einem Gewinnspiel teilnehmen kann, und auch
eine Treue-Aktion wird bereitgehalten. Das ändert allerdings
nichts daran, dass zirka neunundzwanzig Dreissigstel der Website
unter hohem Gestaltungsaufwand mit Informationen vollgestopft
wurden, für die im Web der Begriff "Mumpitz" eine
gnädige Untertreibung wäre. Einmal mehr muss man sagen:
schade um das schöne Geld.
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