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Das GewinnspielAbenteuer tiefgekühlt
 
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Digitales Ungeziefer: Ticker
 
Sie mögen als primitive ASCII-Schrift oder elegant scrollende Fenster mit mikroskopisch kleinen Dreieckchen zum Extra-Scrollen gestaltet sein. Sie mögen schnell oder langsam tickern, sie mögen groß oder klein, breit oder schmal, bunt oder monochrom sein, klickbare Links oder nur tauben Text enthalten, eines haben sie gemeinsam: Ich kann sie nicht leiden. Die Rede ist von Tickern, diesen vom Fernschreiber abstammenden kleinen Web-Fensterlein, in denen in provozierendem Zeitlupentempo irgendwelche läppischen Informationsfragmente an uns vorbeikrabbeln. Warum ich sie nicht leiden kann, darüber könnte ich lange philosophieren.
  • Sie bewegen sich. Sie tun das per Definition und lenken uns so von dem ab, was wir eigentlich tun möchten - in Ruhe lesen und uns orientieren.  Selten genug kann man sie ja abschalten, was allerdings auch keine gute Lösung ist. Meistens braucht man hierfür nämlich die Feinmotorik eines Uhrmachers. "Das interessiert Sie nicht? Na, dann klicken Sie doch einfach dieses Mikroschalterchen. Aber passen Sie gut auf, dass Sie nicht daneben treffen, sonst passiert etwas anderes..." 
  • Ticker gehorchen der Push-Logik: Ein Marketing Buzz-Word, welches die unerwünschte und unkontrollierte Zwangsversorgung mit Informationen bezeichnet. Weil das ganze Web - zumindest derzeit noch - ein "Pull"-Medium ist, also darauf beruht, dass man Informationen selbst selektiert und aktiv auswählt, stimmt am Ticker-Denkansatz ganz grundsätzlich etwas nicht.
  • Warten Sie ernsthaft, bis sich ein Ticker zu Ende getickert hat? Eben. Ticker sind die Pixel gewordene Verhöhnung unserer tiefen Abneigung gegen das Warten
  • Der letze und wesentliche Punkt ist aber, dass man auf Tickern fast immer langweiliges Zeug zu lesen bekommt. Dinge, die man bis jetzt noch nie wissen wollte und auch später nicht, oder wenn doch, dann bitte nicht jetzt, und vor allem bitte auch nicht hier, also z.B. nicht auf der Startseite einer Website (wo der gemeine Ticker ja sein Dasein fristet). 

In den vorbereitenden Studien zu diesem Beitrag habe ich durch sorgfältiges Beobachten und Vergleichen bemerkt, dass Ticker in wenigen Varianten hergestellt werden.

Zunächst gibt es da die sehr weit verbreitete Börsen-Variante

 
 
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Diese wird auf dem Hintergrund einer messerscharfen Logik bezüglich der Bedürfnisse von Internet-Surfer/innen hergestellt. Zusammengefaßt: 1. Internet-Benutzer sind besser verdienend, und wer besser verdient, hat natürlich Aktien. 2. Wer Aktien hat, hat auch unsere Aktien und möchte natürlich wissen, was diese wert sind. Er möchte das auch möglichst immer und überall wissen. 3. Er möchte dann natürlich auch den Dow-Jones und den DAX und den NEMAX und den Dollarkurs wissen. 4. Wer so gierig auf Börseninformationen ist, kommt natürlich auf unsere Website, um sich auf dem Laufenden zu halten - ungeachtet der Tatsache, dass wir eigentlich Staubsauger oder Düngemittel oder Autoreifen herstellen und verkaufen.

Also? Implementieren wir einen prima Zusatznutzen auf unserer Startseite, eben einen Börsen-Ticker (...außerdem haben die anderen auch welche). Unsere Besucher werden frohlocken und uns dafür lieben. Sie werden uns ein über's andere mal besuchen, um sich die 5 Kurse anzusehen, die sich in 45 Sekunden intensiver Beobachtungszeit aus unserem übersichtlichen Ticker herauslesen lassen. Und sie werden ob der technischen Raffinesse beeindruckt sein - Oh! Schau' mal, da bewegt sich was! Ist das nicht höchst ungewöhnlich und originell? Ja, das ist es, und wir verspüren tief im Inneren ein Gefühl brandheißer Aktualität, und wahrlich, die Hits und Pageviews blühen. 

Es gibt zwar Online-Broking Systeme, auf welchen man gleich Dutzende Aktienkurse abrufen und vergleichen und sich die Grafiken von - derzeit meist fallenden - Kursen anschauen und das Zeug notfalls auch gleich kaufen und verkaufen kann. Aber das ficht den Börsen-Ticker nicht an. Auch die naheliegende Alternative, die börsenfixierte Besucherschaft durch Links Namens "Investor Relations" oder "unsere Aktie" oder "Aktien" abzufangen, gilt nicht. Nein, wer z.B. auf die Website der Eminent Importanz AG kommt, möchte gleich als erstes und überhaupt in erster Linie deren Aktienkurs sehen. Wer nicht will, hat eben Pech gehabt, er muss ja nicht hinschauen, oder?

Doch, er muss - leider.

 
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Die besonders penetrante Jubel-Variante geht härter zur Sache.  Die Meldung, die Agentur Großkotz-Media, könne verkünden, dass ihr nun auch der Gigantis-Konzern seit dem 23.04. ihr Vertrauen schenke, findet z.B. nicht so recht meinen Beifall.

Es hätte mich gar nicht gestört, das nicht zu wissen.

"+++ RENK Insolvenzverfahren angemeldet +++"

oder

"+++ Kundenzufriedenheit auf historischem Tief +++"

wäre schon interessanter, finden sie nicht auch? So etwas habe ich allerdings noch nie auf einem Ticker gelesen.
 

Da man in einem linearen Streifen nicht so toll jubeln kann, lassen sich manche Gestalter/innen etwas einfallen, um ihren Botschaften Geltung zu verschaffen. Auf Info-Jalousien werden dann quasi im Breitbandverfahren Meldungen wie die hier links zu sehende abgerollt.

Wahnsinnig aufregend! Ich muss unbedingt sofort alles stehen und liegen lassen um eine Ersparnisse in diesen Knaller zu investieren.


 
 
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Die besonders zahlreich vertretenen Produkt-Ticker heben Informationen hervor, die sensationelle Produktneuheiten und Sonderangebote betreffen. 

Das ist höchst mediengerecht!" spricht der Tickerianer. Und es stimmt wohl, denn ohne Ticker häte wahrscheinlich kein Mensch dieses Zeug gesucht. Wobei allerdings zwischen Suchen, Finden, Informieren und Kaufen noch Welten liegen können - zum Glück, muss man sagen, denn anderenfalls würden wir uns wohl alle Tage an heißen Produktneuheiten verbrennen.

Die Langweiler-Variante vertickert Informationen, die niemand versteht oder die schlichtweg niemanden interessieren. Da wird z.B. verlautbart, dass die Gähn EDV Consulting GmbH & Co. KG am 24. August einen Messestand auf einer IT-Messe in Castrop-Rauxel hat. Einen Messestand! Hätten Sie es gedacht? Ich auch nicht, ich habe nämlich nach "+++ Gähn EDV Consulting Gm..." zu lesen aufgehört.

 

Man muss diagnostizieren, dass viele Unternehmen die Attraktivität des eigenen Nabels und die diesbezügliche Schaulust der Surferinnen und Surfer hoffnungslos überschätzen. 

...Sie möchten doch nicht ernstlich zugeben, dass Sie meine alten Kumpel Hülbert, Weinmann und Pachta-Reyhofe nicht kennen? 

Hoffen wir inständig, dass wir nicht zu den neuen Zielgruppen gehören, die mit dem kooperativ komplettierten Leistungsportfolio belästigt werden.
 
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Die News-Variante brabbelt Neuigkeiten, die z.T. die Begriffe "Information"...
 

oder "Zielgruppe" vollständig transzendieren...

...oder raunt mir geradezu unglaublich aufregende Dinge ins Auge, etwa, dass Boris Becker - vor gerade eben 5 Minuten! - eine hübsche Mulattin geschwängert hat, deren Anwälte nun bereits über Alimente in einstelliger Millionenhöhe verhandeln.  

...Sie kennen doch meinen alten Kumpel John Woo?

  ...oder verkündet, dass Bill Gates am Südpol bei der computergestützten Hetzjagd auf Pinguine erwischt wurde (zum Glück vergeblich, böswillige Stimmen behaupten, ihm sei der Bildschirm eingeforen...). 

 ...oder mahnt, dass sich die Börsenkurse gerade mal wieder im freien Fall nach unten bewegen! (schnell zur Website der Ticky-Bank, da kann man schon nach 135 Sekunden den NEMAX ablesen!).

Fazit: Alles Dinge, die ich ganz dringend ignorieren muss. 

Und hier links, ganz zum Schluss, noch mein Lieblingsticker: Das ist doch mal eine wohltuende Ausnahme. Danke für die erfrischend nüchterne, unaufdringliche und präzise Information!
 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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