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KommDesign.de Galerie schlechte
Inhalte
Digitales Ungeziefer: Ticker |
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Sie mögen als primitive
ASCII-Schrift oder elegant scrollende Fenster mit mikroskopisch
kleinen Dreieckchen zum Extra-Scrollen gestaltet sein. Sie mögen
schnell oder langsam tickern, sie mögen groß oder klein,
breit oder schmal, bunt oder monochrom sein, klickbare Links oder
nur tauben Text enthalten, eines haben sie gemeinsam: Ich kann sie
nicht leiden. Die Rede ist von Tickern, diesen vom Fernschreiber
abstammenden kleinen Web-Fensterlein, in denen in provozierendem
Zeitlupentempo irgendwelche läppischen Informationsfragmente
an uns vorbeikrabbeln. Warum ich sie nicht leiden kann, darüber
könnte ich lange philosophieren.
- Sie bewegen sich. Sie tun das per
Definition und lenken uns so von dem ab, was wir eigentlich
tun möchten - in Ruhe lesen und uns orientieren.
Selten genug kann man sie ja abschalten, was allerdings auch
keine gute Lösung ist. Meistens braucht man hierfür
nämlich die Feinmotorik eines Uhrmachers. "Das interessiert
Sie nicht? Na, dann klicken Sie doch einfach dieses Mikroschalterchen.
Aber passen Sie gut auf, dass Sie nicht daneben treffen, sonst
passiert etwas anderes..."
- Ticker gehorchen der Push-Logik:
Ein Marketing Buzz-Word, welches die unerwünschte und unkontrollierte
Zwangsversorgung mit Informationen bezeichnet. Weil das ganze
Web - zumindest derzeit noch - ein "Pull"-Medium ist,
also darauf beruht, dass man Informationen selbst selektiert
und aktiv auswählt, stimmt am Ticker-Denkansatz ganz grundsätzlich
etwas nicht.
- Warten Sie ernsthaft, bis sich ein Ticker
zu Ende getickert hat? Eben. Ticker sind die Pixel gewordene
Verhöhnung unserer tiefen Abneigung gegen das Warten.
- Der letze und wesentliche Punkt ist
aber, dass man auf Tickern fast immer langweiliges Zeug
zu lesen bekommt. Dinge, die man bis jetzt noch nie wissen wollte
und auch später nicht, oder wenn doch, dann bitte nicht
jetzt, und vor allem bitte auch nicht hier, also z.B. nicht
auf der Startseite einer Website (wo der gemeine Ticker ja sein
Dasein fristet).
In den vorbereitenden Studien zu diesem
Beitrag habe ich durch sorgfältiges Beobachten und Vergleichen
bemerkt, dass Ticker in wenigen Varianten hergestellt werden.
Zunächst gibt es da die sehr weit
verbreitete Börsen-Variante.
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Diese wird auf dem Hintergrund einer messerscharfen Logik bezüglich
der Bedürfnisse von Internet-Surfer/innen hergestellt. Zusammengefaßt:
1. Internet-Benutzer sind besser verdienend, und wer besser
verdient, hat natürlich Aktien. 2. Wer Aktien
hat, hat auch unsere Aktien und möchte natürlich
wissen, was diese wert sind. Er möchte das auch möglichst
immer und überall wissen. 3. Er möchte dann natürlich
auch den Dow-Jones und den DAX und den NEMAX und den Dollarkurs
wissen. 4. Wer so gierig auf Börseninformationen ist,
kommt natürlich auf unsere Website, um sich auf dem
Laufenden zu halten - ungeachtet der Tatsache, dass wir eigentlich
Staubsauger oder Düngemittel oder Autoreifen herstellen und
verkaufen.
Also? Implementieren wir einen prima Zusatznutzen auf unserer
Startseite, eben einen Börsen-Ticker (...außerdem haben
die anderen auch welche). Unsere Besucher werden frohlocken und
uns dafür lieben. Sie werden uns ein über's andere mal
besuchen, um sich die 5 Kurse anzusehen, die sich in 45 Sekunden
intensiver Beobachtungszeit aus unserem übersichtlichen Ticker
herauslesen lassen. Und sie werden ob der technischen Raffinesse
beeindruckt sein - Oh! Schau' mal, da bewegt sich was! Ist das
nicht höchst ungewöhnlich und originell? Ja, das ist
es, und wir verspüren tief im Inneren ein Gefühl brandheißer
Aktualität, und wahrlich, die Hits und Pageviews blühen.
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Es gibt zwar Online-Broking Systeme, auf welchen man gleich Dutzende
Aktienkurse abrufen und vergleichen und sich die Grafiken von
- derzeit meist fallenden - Kursen anschauen und das Zeug notfalls
auch gleich kaufen und verkaufen kann. Aber das ficht den Börsen-Ticker
nicht an. Auch die naheliegende Alternative, die börsenfixierte
Besucherschaft durch Links Namens "Investor Relations"
oder "unsere Aktie" oder "Aktien" abzufangen,
gilt nicht. Nein, wer z.B. auf die Website der Eminent Importanz
AG kommt, möchte gleich als erstes und überhaupt in
erster Linie deren Aktienkurs sehen. Wer nicht will, hat eben
Pech gehabt, er muss ja nicht hinschauen, oder?
Doch, er muss - leider.
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Die besonders penetrante Jubel-Variante geht härter
zur Sache. Die Meldung, die Agentur Großkotz-Media,
könne verkünden, dass ihr nun auch der Gigantis-Konzern
seit dem 23.04. ihr Vertrauen schenke, findet z.B. nicht so recht
meinen Beifall.
Es hätte mich gar nicht gestört, das nicht zu wissen.
"+++ RENK Insolvenzverfahren angemeldet +++"
oder
"+++ Kundenzufriedenheit auf historischem Tief +++"
wäre schon interessanter, finden sie nicht auch? So etwas
habe ich allerdings noch nie auf einem Ticker gelesen.
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Da man in einem
linearen Streifen nicht so toll jubeln kann, lassen sich manche
Gestalter/innen etwas einfallen, um ihren Botschaften Geltung
zu verschaffen. Auf Info-Jalousien werden dann quasi im Breitbandverfahren
Meldungen wie die hier links zu sehende abgerollt.
Wahnsinnig aufregend! Ich muss unbedingt sofort alles stehen
und liegen lassen um eine Ersparnisse in diesen Knaller
zu investieren.
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Die besonders zahlreich vertretenen Produkt-Ticker heben
Informationen hervor, die sensationelle Produktneuheiten und Sonderangebote
betreffen.
Das ist höchst mediengerecht!" spricht der Tickerianer.
Und es stimmt wohl, denn ohne Ticker häte wahrscheinlich
kein Mensch dieses Zeug gesucht. Wobei allerdings zwischen Suchen,
Finden, Informieren und Kaufen noch Welten liegen können
- zum Glück, muss man sagen, denn anderenfalls würden
wir uns wohl alle Tage an heißen Produktneuheiten verbrennen.
Die Langweiler-Variante vertickert Informationen, die
niemand versteht oder die schlichtweg niemanden interessieren.
Da wird z.B. verlautbart, dass die Gähn EDV Consulting GmbH
& Co. KG am 24. August einen Messestand auf einer IT-Messe
in Castrop-Rauxel hat. Einen Messestand! Hätten Sie es gedacht?
Ich auch nicht, ich habe nämlich nach "+++ Gähn
EDV Consulting Gm..." zu lesen aufgehört.
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Man muss diagnostizieren, dass viele Unternehmen die Attraktivität
des eigenen Nabels und die diesbezügliche Schaulust der Surferinnen
und Surfer hoffnungslos überschätzen.
...Sie möchten doch nicht ernstlich zugeben, dass Sie meine
alten Kumpel Hülbert, Weinmann und Pachta-Reyhofe nicht kennen?
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Hoffen wir inständig, dass wir nicht zu
den neuen Zielgruppen gehören, die mit dem kooperativ
komplettierten Leistungsportfolio belästigt werden.
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Die News-Variante brabbelt
Neuigkeiten, die z.T. die Begriffe "Information"...
oder "Zielgruppe" vollständig transzendieren...
...oder raunt mir geradezu unglaublich aufregende Dinge ins Auge,
etwa, dass Boris Becker - vor gerade eben 5 Minuten! - eine hübsche
Mulattin geschwängert hat, deren Anwälte nun bereits
über Alimente in einstelliger Millionenhöhe verhandeln.
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...Sie kennen doch meinen alten Kumpel John Woo?
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...oder verkündet, dass Bill Gates am Südpol
bei der computergestützten Hetzjagd auf Pinguine erwischt
wurde (zum Glück vergeblich, böswillige Stimmen behaupten,
ihm sei der Bildschirm eingeforen...).
...oder mahnt, dass sich die Börsenkurse gerade mal wieder
im freien Fall nach unten bewegen! (schnell zur Website der Ticky-Bank,
da kann man schon nach 135 Sekunden den NEMAX ablesen!).
Fazit: Alles Dinge, die ich ganz dringend ignorieren muss.
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Und hier links, ganz zum Schluss, noch mein Lieblingsticker:
Das ist doch mal eine wohltuende Ausnahme. Danke für
die erfrischend nüchterne, unaufdringliche und präzise
Information!
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