zur Übersicht Galerie
Die Klappmesser-Metapher(not) opzimized...
 
Artikel 20 von 44
KommDesign.de — Galerie — schlechte Links und Menüs

Der ultracoole Turbo-Navigator
 

Bleiben wir noch bei den Design-Profis. Das folgende Beispiel fällt in die Kategorie "hochprofessioneller, preisgekrönter Unsinn", und ich hatte Mühe, es einer meiner Rubriken zuzuordnen. Es hätte genauso gut einen Beitrag in Sachen schlechter Empfang, schlechte Kommunikation oder schlechte Inhalte hergegeben. Gefunden habe ich es, als ich das Web in Sachen Artikel oder Quellen zu visueller Kommunikation durchstöberte.

Unter der Adresse www.virtualdesign.com stieß ich dabei auf ein Projekt mit dem vielversprechenden wie mediengerechten Namen "Virtual Design" . 

 
Hier ein Screenshot der Startseite, der sich in ästhetischem Grau-Pastell ins Auge schmeichelt.
(Screenshots vom 04.01. 2001)


Cool! Eines hat meine Aufmerksamkeit gleich eingefangen und mich positiv für das Projekt eingenommen, nämlich ein informativer Browsercheck-Infotext, der sich redlich bemüht, mich für die Segnungen einer JDK 1.1.2 oder MRJ 2.1.4 zu erwärmen:

Ich habe zwar keinen Schimmer, was JDK 1.1.2 oder MRJ 2.1.4 sind, aber immerhin begreife ich gleich, dass hier nicht gescherzt wird - ganz offensichtlich kein Angebot für dahergelaufene Heim-Surfer. Ein Klick auf die zentrale Grafik, die ein riesiges Link verbirgt (übrigens ohne dass man dies erkennen könnte), führt zu folgendem Ergebnis:

 
zum Seitenanfang

Der erklärende Text am oberen Rand der Seite liest sich wie folgt:
 

Das klingt ja wirklich interessant! 
Der mattschwarze Turbo-Navigator am rechten unteren Bildrand schüchtert mich auf den ersten Blick etwas ein. Da hat anscheinend jemand ein Stück aus der Instrumententafel eines Jagdbombers herausgesägt und in HTML eingegossen - revolutionär in der  Anmutung, und mit Sicherheit hochfunktionell. Na, da will ich lieber nichts falsch machen. Am Ende verschieße ich unnötig Munition oder starte mit Nachbrenner ohne angeschnallt zu sein - wohin auch immer. 

Ich versuche es also zunächst einmal ganz vorsichtig mit dem einfachen Menüpunkt publications, denn in so einer ebenso vorbildlich wie visuell kommunizierenden Umgebung findet man sicherlich viele interessante Artikel zur visuellen Kommunikation (und eigentlich - so erinnere ich mich jetzt - bin ich ja auch hier, um solche zu suchen). Also schnell 'rauf mit der Maus auf das Link... 
 

...und schon poppt der "Content" auf. Das sieht schon besser aus. Bevor ich klicke, fällt mein Blick zufällig auf den rechten unteren Rand meines Browsers. Und dort sehe ich etwas...

...das mich mißtrauisch macht. 

"javascript:nix()"? Das ist ein Begriff, der wie dafür geschaffen erscheint, ein Nichts zu bezeichnen, das aus Javascript gemacht ist. Und mein Verdacht bestätigt sich. Wenn man auf publications klickt, passiert tatsächlich nichts, präzise rein gar nichts - da kann man die virtuellen Designer und -innen zu ihrem präzisen sprachlichen Ausdrucksvermögen nur beglückwünschen.   

So schafft man Vertrauen 
beim Leser: javascript:(nix)

 

zum Seitenanfang

Das Hauptmenue enthält dann noch etwas anderes, das mich für das Projekt und seine Macher/innen positiv einnimmt, nämlich eine Option manual. Hier kann man eine Bedienungsanleitung im pdf-Format herunterladen! Nein, das ist kein Scherz...


...sondern das erste und bisher einzige Mal in meiner Internet-Karriere, dass sich jemand entblödet, mir eine Gebrauchsanweisung für eine Website zum Download anzubieten. Ich bin tief beeindruckt.

Gut. Vielmehr: Nicht gut oder sozusagen nix:(gut). Bisher war die Informationsausbeute nämlich eher dürftig. Aber immerhin bin ich neugierig geworden, sehr neugierig sogar.
 
Gebrauchsanweisungen sind etwas für Weichlinge, deshalb klicke ich jetzt einfach kurzentschlossen auf die Start-Taste des Turbo-Navigators. Dies bewirkt, dass im Zentrum des Bildschirms die links zu sehende Auswahl eingeblendet wird. Ich habe immer noch keine Idee, wozu das alles gut sein soll, welche Bilder man hier zu sehen bekommt, was sie darstellen, und warum man sie sich vielleicht besser nicht ansehen sollte.

Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich klicke auf choose und jetzt geschehen wunderbare Dinge. Es erscheint nämlich ein cooler 3-D Rahmen auf dem Monitor:


Und in dem Rahmen? Erscheint - wie soll man das ausdrücken - etwas Schwarzes auf einem coolen schwarzen Hintergrund. Etwas, das wie das direkte visuelle Abbild des "javascript:(nix)" aussieht, das mich zuvor so beeindruckt hat. Anscheinend haben die Leute hier eine besondere, tiefe und innige Beziehung zur Leere und möchten ihr Publikum daran teilhaben lassen. 

Als Ausgleich dafür, dass ich nichts zu sehen bekomme, erfährt aber der Turbo-Navigator eine wunderbare Verwandlung. Er verwandelt sich in einen avantgardistischen Doppelturbo mit Direkteinspritzung und tiefergelegtem Chassis. Hier das - mmh - "Dingsbums" noch einmal vergrößert:
 
Ich bin von der revolutionären Anmutung nach wie vor  beeindruckt - kann mir aber (wie ich zu meiner Schande gestehen muss), immer noch nicht vorstellen, wozu dieser Apparat gedacht ist. Abgesehen von dem info, das wahrscheinlich zu einer Info führt (?) und dem Lupen-Icon, welches irgendeine Suchfunktion oder ein Zoom für irgendetwas sein könnte, sieht das für mich aus wie ein ganz besonders böhmisches Dorf mit Knöpfen 'dran. 

Vielleicht ist das Ganze ja auch der Versuch, die Idee der technologischen Entfremdung zwischen dem Nichts einerseits und Mensch-Maschine Systemen andererseits sichtbar zu machen? (Meine Güte, dieser Quark spornt ja zu ungeahnten intellektuellen Höhenflügen an.)

Immerhin beginne ich jetzt zu verstehen, warum da eine Gebrauchsanweisung angeboten wurde. Ohne eine solche ist der Turbo-Navigator anscheinend wirklich unbrauchbar. Also: Eine gute Idee, so eine Gebrauchsanweisung - jedenfalls für Leute, die hier navigieren möchten. Vielleicht muss man hierfür media-designer oder media-artist sein. Zu denen gehöre ich nun allerdings nicht. Ich für meinen Teil bevorzuge ganz stupide Hypertext-Links, oder Buttons, die mir schon vor dem Klick erklären, wohin sie führen und welche Funktionen sie auslösen. Das ist zwar überhaupt nicht avangardistisch, eigentlich sogar eher langweilig, hat aber zwei nicht zu unterschätzende Vorteile: 

  • Es spart, was ich wenig habe (Zeit). 
  • Es verhindert, was ich nicht möchte (mich ärgern).
 
zum Seitenanfang
Nachtrag:

Falls Sie nun meinen, ich hätte Recht mit meiner Bewertung des Projekts und der Gestaltung, muss ich Ihnen vehement widersprechen. Ich habe glatt Unrecht, denn "virtual design" ist nicht nur von der EU gefördert (also mit Ihren und meinen schönen Steuergeldern finanziert), sondern auch noch mehrfach preisgekrönt! 
 
Das erfährt man, wenn man das award-Link auf der Startseite anmaust:

Und die Jury des "Special Award of Multimedia Transfer 2000" auf der LEARNTEC2000 wird doch wohl wissen, wo der digitale Hund in den neuen Medien begraben liegt? Na also. 

Ich bin dem "Special Award of Multimedia..." neugierig gefolgt, und konnte in der Kurzbeschreibung des Projekts dann wieder ganz präzise nicht verstehen, was es mit dem Projekt auf sich hat:


"Visuell geleiteter Strukturnavigator" in einem "interaktiven Webinterface" zur "Bildeinspeisung"... 

Da sieht man es: Die beste Satire ist immer noch die Realität.

 
 
zum Seitenanfang
zur Übersicht Galerie
Die Klappmesser-Metapher(not) opzimized...

 
© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
letzte Änderung dieser Seite am
URL dieser Seite: www.kommdesign.de/galerie/links/navigator.htm