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EinfachheitAufmerksamkeit (1)
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KommDesign.de — Texte — Wahrnehmung

Vom Erstkontakt mit Informationen

   
Menschen bilden sich sehr schnell, in weniger als einer Sekunde, einen intuitiven Eindruck von Personen, Produkten oder Sachverhalten. Dieses erste Urteil, das weitgehend automatisch gebildet wird, ist zwar recht grob, d.h. es basiert auf einer unvollständigen Analyse des Wahrgenommenen, aber trotzdem überaus hartnäckig. Wenn wir jemanden auf den ersten Blick "irgendwie" nicht mögen, wird es ihm/ihr später nicht leicht fallen, uns vom Gegenteil zu überzeugen. Dabei ist es sogar vielfach nicht möglich, eine spontane Abneigung oder Sympathie verstandesmäßig zu begründen - hieran wird deutlich, daß es sich um emotionale und unbewußte Vorgänge handelt.

Vernünftig betrachtet mag es unvorsichtig und vorschnell erscheinen, aufgrund weniger bruchstückhafter Informationen sehr zeitstabile Urteile zu bilden. Ein Mechanismus dieser Art ist jedoch keinesfalls irrational, sondern biologisch überaus sinnvoll: Wenn ich länger als 1 Sekunde benötige, um zu erkennen, daß vor mir ein Säbelzahntiger oder ein Skinhead mit Baseballschläger steht, wird sich - um es vornehm auszudrücken - die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ich meine Gene an meine Nachkommen weitergeben kann, reduzieren.

Schnelle Entscheidungen sind jedoch in sehr vielen Situationen wichtig. Gehen wir z.B. von einer Party-Situation aus: Hier muß man u.U. aufgrund des ersten Eindrucks entscheiden, welcher von mehreren Personen man sich zuwenden will, wobei der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle spielen kann. Wenn ich 30 Minuten benötige, um mich für eine/n Kommunikationspartner/in zu entscheiden, ist diese/r vielleicht schon von anderen "besetzt" - oder auch gegangen.
 

 
 
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Wie kann man sich diesen Prozeß vorstellen?

Nach Ergebnissen der modernen Emotionspsychologie funktioniert die Informationsverarbeitung bei der Bildung intuitiver Eindrücke in mehreren Stufen, die man als "Stimulus Evaluation Checks" (sinngemäß etwa: "Reizbewertungsphasen") bezeichnet. Diese Entscheidungen bilden gewissermaßen einen Filter, der die Aufmerksamkeit lenken, Gefühle auslösen, Handlungen unterbrechen und unser Denken und Handeln in bestimmte Richtungen lenken kann. Man kann sich die Evaluation-Checks als eine Sequenz von unbewußt gestellten Fragen vorstellen (vgl. folgender Kasten).
 
 

"Evaluation Checks" in frühen Phasen der Eindrucksbildung:
  1. Was ist neu bzw. läuft meinen Erfahrungen und Erwartungen zuwider? 

  2.  
  3. Was zieht mich besonders an / stößt mich ab, wirkt besonders angenehm / unangenehm - oder evtl. gefährlich? 

  4.  
  5. Was erscheint wichtig und verdient meine besondere Aufmerksamkeit? 

  6.  
  7. Welches ist die relevante Information für meine momentanen Absichten?

 

Diese Fragen werden wie in einer Art Kreisprozeß immer wieder und wieder neu gestellt und beantwortet, so daß unser Wahrnehmungsapparat die Umwelt ständig auf bedeutsame Veränderungen "abtastet".

 
 
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Konsequenzen für das Webdesign?

In erster Näherung würde man wahrscheinlich sagen, der Zeitpunkt des Erstkontakts mit einer Website ist dann, wenn die Startseite auf dem Monitor erscheint. Da Webseiten in der Regel jedoch nicht plötzlich und vollständig entstehen, sondern nach und nach aufgebaut werden, ist der Erstkontakt mit dem Moment identisch, in dem der Rechner beginnt, Informationen von der im Browser neu angewählten Adresse zu lesen. Schon in diesem Moment setzen Bewertungsprozesse ein, die das Gesehene permanent in Hinblick auf Bekanntheit (vertraut oder unvertraut?), emotionale Qualität (angenehm oder unangenehm ?) und Relevanz (wichtig oder unwichtig ?) bewerten. 

Alles, was während des Aufbaus der ersten Seite geschieht, trägt besonders zu dem "Erlebniswert" einer Homepage bei und sollte dementsprechend beim Design und der Programmierung besonders berücksichtigt werden. Aus diesem Grund ist es psychologisch mehr als ungeschickt, den Aufbau einer Seite mit einem Werbebanner oder drögen Textpassagen ("Wir sind Unternehmen der XY-Gruppe mit mehr als 5 Mio. Umsatz/Jahr") zu beginnen: Bis der eigentliche Inhalt kommt, haben sich die Benutzer/innen ein intuitives Urteil  gebildet, d.h. die Phase der Evaluations-Checks ist gewissermaßen verpaßt. Ebenso unsinnig ist es, die erste Seite so zu gestalten, daß ein/e Benutzer/in minutenlang warten muß, bis er/sie endlich eines grandiosen Designs teilhaftig wird. Damit wird die Chance verschenkt, einen guten prägenden Eindruck zu machen. Nebenbei: "Java wird gestartet" ist auch nicht gerade ein Knaller in Sachen Ersteindruck. In der KommDesign Galerie finden Sie schöne Beispiele für mißlungenen Erstkontakt.

Gute Ansätze für die Gestaltung des Erstkontakts sind z.B. ein prägnantes Logo, eine Begrüßungsformel, angenehme Farben oder ein lächelndes Gesicht. (Gesichter sind sehr mächtige biologisch geprägte Reize, deren positiver oder negativer Wirkung wir uns nicht entziehen können.) Mit höheren Übertragungsgeschwindigkeiten und flexiblerer Software können sicherlich auch musikalische Stilmittel ("Jingles") für den Erstkontakt genutzt werden, in jedem Fall sollte es jedoch etwas Angenehmes und/oder etwas Relevantes sein. 
 

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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