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Artikel 7 von 34
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KommDesign.de Texte Aufmerksamkeit
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Die Grundlagen
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Das Filter-Modell
Warum das Filter-Modell falsch ist
Die Lösung: präattentive Prozesse
Demonstration: der Stroop-Effekt
Die Konsequenzen
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Jeder, der sich mit dem Design
von Internetseiten beschäftigt, hat Theorien darüber,
wie die Aufmerksamkeit seiner Besucher funktioniert. Diese beeinflussen
und steuern, wie die Dinge gestaltet werden, sie beruhen aber oftmals
auf falschen Annahmen:
- Ein Kardinalfehler, der sich in den Theorien vieler Designer/innen
findet, ist z.B. der Glaube, Animationen seien in erster Linie
etwas Dekoratives, das man einsetzen könne, um Seiten etwas
gefälliger zu gestalten. Tatsächlich ist Bewegung
aber eben kein beliebiges Stilmittel, sondern ein biologischer
Reiz, der höchste Priorität für unsere Aufmerksamkeit
hat und deshalb nur äußerst sparsam - und niemals
ohne triftigen Grund - eingesetzt werden sollte (mehr Informationen
hierzu finden Sie in meinem Artikel über Animationen).
- Eine zweite Fehleinschätzung, auf die ich im ersten Artikel
dieser Serie hingewiesen habe, ist, Internet-Benutzer/innen
seien nur für maximal 3 Minuten dazu in der Lage, sich
auf ein Thema zu konzentrieren.
- Ein dritter Fehler ist die Überzeugung, daß auf
der eigenen Website alles wichtig sei, weshalb man dafür
sorgen müsse, daß auch alles tüchtig hervorgehoben
wird - nur nichts übersehen!
- Viertens gilt beim Hervorheben wichtiger Informationen nicht
die Regel "Viel hilft viel". Was zu sehr hervorsticht, kann
leicht mit einem Werbebanner verwechselt und ignoriert werden
(Banner
Blindness).
Das Problem ist nicht nur, daß diese
(und andere) Annahmen unzutreffend sind, sie werden den Betroffenen
nicht einmal richtig bewußt - so daß sie nie einer kritischen
Prüfung unterzogen werden. Falsche Strategien bei der Auswahl
von Inhalten und der Anwendung von Techniken zur Gestaltung, Vernetzung
oder Hervorhebung von Informationen sind dann auch eher die Regel
als die Ausnahme.
In diesem und dem folgenden Teil dieser Artikelserie
möchte ich einige Grundlagen darstellen, die die experimentelle
Psychologie über das Funktionieren der menschlichen Aufmerksamkeit
in Erfahrung gebracht hat. Dies mag manchem/r Leser/in auf den
ersten Blick vielleicht etwas zu weit ausgeholt oder zu theoretisch
erscheinen, es ist jedoch so, daß viele Forschungsergebnisse
dem widersprechen, was unsere Intuition uns Glauben macht. Es
kann also nicht schaden, die eigenen Theorien etwas zu erweitern
oder zu überdenken, um sich dann aus einer veränderten
Perspektive mit der Frage zu beschäftigen, wie man Aufmerksamkeit
im Web optimal anspricht und unterstützt.
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Das Filter-Modell
Wenn man diese Frage durch eine Meinungsumfrage
untersuchen würde, bekäme man wahrscheinlich Antworten,
die in etwa darauf hinausliefen, daß Aufmerksamkeit ein
Filter ist, der bestimmte Dinge passieren läßt und
andere zurückhält. Diese Antwort hat auch etwas für
sich. Wenn man z.B. eine Internet-Seite "abscannt" um sich einen
Eindruck von den Inhalten und Verzweigungen der Seite zu bilden,
treten die blauen, unterstrichenen Links aus dem Hintergrund des
laufenden Textes hervor und werden beachtet. Die restlichen 90%
der Informationen "rauschen" gewissermaßen vorbei, d.h.
sie werden weggefiltert und erreichen unser Bewußtsein nicht.
Ähnlich liegen die Verhältnisse, wenn wir aktiv nach
einer Information suchen, sagen wir, einem Link, das ein E-Mail
Formular öffnet. Nur Reize, die zu unserem Ziel passen (das
Icon eines Briefkastens oder ein Link mit der Bezeichnung "Email"),
treten dann aus dem Hintergrund hervor und werden fokussiert.
Ein Aspekt, der für diesen Denkansatz sehr
wichtig ist, ist die Annahme, daß Aufmerksamkeit von unserem
Bewußtsein kontrolliert bzw. gesteuert wird. Besonders deutlich
wird dies an einem alltäglichen Phänomen, das in der
Aufmerksamkeitsforschung eine gewisse Prominenz hat, dem "Cocktail-Party
Effekt". Wenn Sie sich auf einer Party mit jemandem unterhalten,
schwirren Dutzende von Stimmen durch den Raum, die physikalisch
ungefähr gleich laut sind. Es ist aber in der Regel kein
Problem, einer dieser Stimmen zuzuhören und die anderen zu
ignorieren. Wenn Sie nicht mehr Person A, sondern Person B zuhören
möchten, können Sie einfach "umschalten". Demnach
steuern unsere Ziele die Aufmerksamkeit und diese steuert wiederum,
was wir beachten oder ignorieren.
Dieses "Filter-Modell" entspricht in etwa dem,
was der gesunde Menschenverstand und die Alltagserfahrung nahelegen,
und es war auch eine der ersten Theorien in der wissenschaftlichen
Aufmerksamkeitsforschung. Was auf den ersten Blick vielleicht
nicht auffällt ist, daß eine der entscheidenden Grundannahmen
des Modells ein Kapazitätslimit ist. Es gibt hierfür
eine schöne Metapher: Entsprechend dem Filter-Modell bewegen
wir uns quasi mit einer kleinen Taschenlampe durch eine stockfinstere
Landschaft, und unsere Aufmerksamkeit ist wie der Lichtkegel der
Lampe, der immer nur einen bestimmten Ort beleuchtet, während
der Rest der Szenerie im Dunkeln bleibt. Gesteuert wird der Lichtkegel
von uns, also unserem Bewußtsein. Das Kapazitätslimit
hat hierbei zwei Aspekte: (a) Es gibt nur eine Taschenlampe, nicht
mehrere - es kann also nur ein mentaler Prozeß zur gleichen
Zeit ablaufen. (b) Die Lichtmenge, die die Lampe liefert, ist
begrenzt und konstant - genauso wie die psychischen Ressourcen
zur Verarbeitung von Information. Die folgende Abbildung faßt
dies noch einmal zusammen:
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Abbildung 1: Das Filter-Modell der Aufmerksamkeit
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Die Wahrnehmung registriert sehr viele Informationen
(hellblauer Kasten). Ein kleiner Ausschnitt hiervon wird
durch die Aufmerksamkeit ausgewählt (roter Kasten),
analysiert (grüner Kasten) und gelangt dann in unser
Bewußtsein, das man sich wie den Arbeitsspeicher
eines Computers vorstellen kann. Er hat eine begrenzte
Kapazität und dient dazu, die Informationen weiterzuverarbeiten,
also z.B. mit schon vorhandenen Wissen zu vergleichen.
Er enthält auch die aktuellen Ziele, und diese sind
es wiederum, die den Filter "justieren".
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Warum
das Filter-Modell falsch ist
Das Filter-Modell erscheint auf den ersten Blick sehr einleuchtend,
trotzdem kann es das Funktionieren unserer Aufmerksamkeit nicht
angemessen erklären. Probleme wurden erstmals in Experimenten
aufgedeckt, die sich des Verfahrens des "dichotischen Hörens"
- experimentelle Variante des Cocktail-Party Effekts - bedienten.
Hierbei stattet man Versuchspersonen mit einem Kopfhörer
aus, in dessen rechtem und linkem Kanal gleichzeitig unterschiedliche
Bänder abgespielt werden können. In einem speziellen
Test, der "Shadowing"-Technik, hören die Versuchspersonen
in beiden Ohren verschiedene Texte. Ihre Aufgabe ist dann, einen
dieser Texte nachzusprechen, und zwar wie ein Simultandolmetscher,
also unmittelbar während er vorgesprochen wird (dieses "Beschatten"
hat der Technik ihren Namen gegeben). Shadowing ist eine Aufgabe,
die die Aufmerksamkeit stark beansprucht. Dies zeigt sich daran,
daß die Versuchspersonen von dem Text, der in dem unaufmerksamen
(also dem nicht-beschatteten) Ohr vorgelesen wird, in der Regel
nichts verstehen. Sie überhören einfach, was hier gesagt
wird, und sie können später hiervon nichts wiedergeben.
Dies ist mit den Annahmen des Filter-Modells konform: Es kann
ja nur ein Kanal mit Aufmerksamkeit belegt werden, genauso wie
man auf einer Party nur einer Person zur gleichen Zeit zuhören
kann. Darüber hinaus wird durch das Beschatten die Aufmerksamkeitskapazität
vollständig absorbiert, so daß für das Wahrnehmen
oder Verstehen der Botschaft im anderen Ohr gewissermaßen
"nichts mehr übrig" ist.
Nun nehmen wir einmal an, Sie haben sich im Dienste der Wissenschaft
als Versuchsperson für ein Shadowing-Experiment zur Verfügung
gestellt. Sie haben die Aufgabe, einen Text nachzusprechen, der
in Ihrem linken Ohr eingespielt wird. Von dem, was in derweil
im rechten Ohr gesagt wird, verstehen Sie nichts. Plötzlich
wird nun aber Ihr eigener Name im rechten Ohr genannt -
und Ihre Aufmerksamkeit schaltet im Bruchteil einer Sekunde auf
diesen Kanal um. Diese Beobachtung - die genau so in entsprechenden
Experimenten gemacht wurde - ist vielleicht auf den ersten Blick
nicht sehr spektakulär. Man kennt das auch aus dem Alltag:
Wenn der eigene Name gerufen wird, läßt einen das unwillkürlich
"aufhorchen". Aber: Sie bringt das Filter-Modell in arge Bedrängnis.
Warum? Die Information im rechten Kanal war ja nicht mit Aufmerksamkeit
belegt, und die mentalen Ressourcen waren durch das Beschatten
obendrein noch vollständig verbraucht. Nur: Wenn das so ist,
warum waren Sie dann dazu in der Lage, Ihren Namen überhaupt
zu verstehen? Verstehen ist ja die logische Voraussetzung
dafür, daß man überhaupt aufhorchen kann. Dieses
Ergebnis kann nur zustandekommen, wenn die Information im rechten
Kanal, die nicht mit Aufmerksamkeit belegt war, eben doch
inhaltlich analysiert wurde.
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Die Lösung: präatentive
Prozesse
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Die Befunde aus den Shadowing-Experimenten
widerlegen das einfache Filter-Modell und zeigen zwei sehr wesentliche
Dinge auf, die auch in anderen Zusammenhängen sehr gut belegt
sind:
- Wir können uns nicht dafür entscheiden,
Dinge zu ignorieren, die in unserem Gehirn als wichtig "gebookmarkt"
sind (z.B. unseren eigenen Namen).
- Die Menge der Information, die unser Gehirn
analysiert, ist größer als die Menge der Information,
die uns bewußt wird und auf die sich unsere Aufmerksamkeit
richtet.
Die folgende Abbildung zeigt, ein alternatives
Modell der Aufmerksamkeit, das ich in Ermangelung eines griffigen
Namens als Modell "präattentiver Prozesse" bezeichen möchte.
Es hat das Filter-Modell abgelöst und ist im wesentlichen auch
heute noch gültig. |
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Abbildung 2 Das Modell präattentiver Prozesse:
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Das Modell präattentiver Prozesse: Der entscheidende
Unterschied zum Filter-Modell ist, daß hier nach
dem Registrieren der Umwelt in der Wahrnehmung (blauer
Kasten) gleich eine sehr breite automatische inhaltliche
Analyse (grüner Kasten) aller Informationen stattfindet.
Der Engpaß liegt erst an der Stelle, an der unser
Bewußtsein ins Spiel kommt, also dort, wo aus der
riesigen Menge analysierter Informationen eine Auswahl
getroffen werden muß. Im Gegensatz zum Filtermodell,
demzufolge nur weniges überhaupt analysiert werden
kann, resultiert die Notwendigkeit einer Auswahl hier
lediglich aus der begrenzten Kapazität unseres Arbeitsspeichers.
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Man weiß mittlerweile. daß
diese präattentiven ("vor-aufmerksamen") Prozesse extrem schnell
sind, sie beginnen fast zeitgleich mit dem Registrieren der Information
und sind nach ca. 300-500 Millisekunden vollständig abgeschlossen.
Sie haben auch eine enorm große Kapazität - wie groß
genau, ist nicht ganz klar. Sie arbeiten wie parallel geschaltete
Prozessoren, die alle wahrgenommenen Reize interpretieren
und die Ergebnisse unserem Bewußtsein zur Verfügung stellen.
Solange keine signifikanten Bedeutungen erkannt werden, die eine
Unterbrechung der gerade stattfindenden Denkprozesse rechtfertigen,
bleibt die Kontrolle dem Bewußtsein überlassen und ein
kleiner Teil der Information wird "wahr-genommen". Tritt ein signifikanter
Reiz auf (etwa das Hören des eigenen Namens beim Shadowing),
wird dies von den präattentiven Prozessen automatisch registriert,
sie übernehmen die Kontrolle, unterbrechen das Denken und lenken
die Aufmerksamkeit um. |
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Tatsächlich
gibt es noch eine Vielzahl anderer Beobachtungen, die dieses Modell
bestätigen. Eine davon ist der "Stroop Effekt". Bevor Sie weiterlesen,
sollten Sie diesen zuerst im Selbstversuch ausprobieren:
Die Konsequenzen
Die Shadowing-Technik und der Stroop-Effekt sind
deshalb so interessant, weil sie belegen, daß die Richtung
unserer Aufmerksamkeit völlig automatisch gesteuert werden
kann, und daß sich unwillkürlich ablaufende Verarbeitungsprozesse
u.U. stärker auf unsere Aufmerksamkeit auswirken als das,
was durch unsere Absichten vorgegeben wird. Anders gesagt: Was
wir sehen und mental verarbeiten, wird entscheidend von Gewohnheiten
beeinflußt, die wir nicht beliebig verändern und
steuern können. Im Internet ist das nicht anders,
wobei Gewohnheiten hier aus unterschiedlichen Zusammenhängen
stammen können. Es gibt...
- biologisch programmierte "Gewohnheiten" wie z.B. das
reflexartige Ansprechen unserer Aufmerksamkeit auf Bewegungen
oder intensive Farben.
- gelernte Gewohnheiten, so etwa die Blickreihenfolge
von links oben nach rechts unten, die durch die Leserichtung
in unserer westlichen Kultur vorgegeben wird.
- internetspezifische Gewohnheiten, wie das schnelle,
oberflächliche Querlesen von Internet-Seiten ("Scanning".)
- individuelle Gewohnheiten, die sich z.B. im Wegklicken
von Popup-Windows (dies ist eine meiner persönlichen) oder
auch der Vorgabe bestimmter Browser-Einstellungen für Schriften
und Farben äußern können.
Alle diese Komponenten wirken zusammen und
bestimmen letztlich darüber, worauf sich die Aufmerksamkeit
der Benutzer richtet. Hieraus ergibt sich eine erste, enorm wichtige
Grundregel:
- Je einfacher die Struktur einer Seite,
- je weniger Informationen gleichzeitig dargeboten
werden,
- je deutlicher diese visuell artikuliert sind,
desto eher kann man die Aufmerksamkeit der
Benutzer/innen vorhersagen, also steuern und kontrollieren.
In überfüllten, zuckenden, quietschbunten
oder auch eintönig textlastigen Seiten mit Mikro-Schrift
wird es dagegen relativ zufällig sein, welche Information
in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät. Für jemanden
mit einem definierten Ziel sind viele Websites ein sinnloser Wirrwarr,
aus dem die Rosinen mühsam herausgepickt werden müssen.
Und Benutzer/innen ohne Ziele finden sich nicht selten in einer
Situation, in der Dutzende von Reizen um Beachtung rangeln. Damit
werden letztlich beide Parteien - Anbieter und Benutzer/innen
- bei der Erreichung ihrer Ziele behindert. Was es braucht, sind
also klare Hierarchien - was ist wichtig, was unwichtig? - und
Prioritäten bei der Hervorhebung von Informationen. Welche
Techniken hierfür eingesetzt werden können, wird in
einem späteren Beitrag dieser Serie genauer behandelt.
Noch ein zweiter Aspekt erscheint wichtig: Man
muß damit rechnen, daß Ablenker auch ablenkend wirken.
Das klingt dümmlich, ist es aber nicht. Selbst Benutzer/innen,
der/die sich gerade sehr intensiv mit einem Problem beschäftigen,
z.B. nach einer wichtigen Information suchen, sind jederzeit
störbar. Dies ergibt sich daraus, daß auch Informationen,
die nicht zu unseren Zielen passen und nicht mit bewußter
Aufmerksamkeit belegt sind, trotzdem ständig präattentiv
analysiert und bewertet werden. Genauso wie das Hören des
eigenen Namens im Shadowing-Versuch zu einer letztlich ungewollten
Unterbrechung führt, können also signifikante Reize,
die über eine Website verstreut sind, jederzeit die mentale
"Reset-Taste" der Besucher/innen aktivieren. Und wie ich an anderer Stelle
ausgeführt habe, ist eine Website, die solches tut, eine
schlechte Website.
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